Links und rechts vom Holsteinischen Kamp Geschichte und Aktuelles aus Barmbek-Südost Rundgang mit Reinhard Otto Nördlich und südlich der Straße Holsteinischer Kamp ist Barmbek-Süd in Bewegung. Neben einigen Zeugnissen des […]
Erbaut wurde er 1927 bis 1928 vom Architekturbüro Puls und Richter, die zugleich Bauherren waren. Die Kriegsschaden haben ihn nicht entstellt. Bemerkenswert, wie er sich mit seinen Putzfronten an Straße und Hof von den Backsteinblocks jener Jahre abhebt. Eine fast südländische Note macht ihn in Barmbek ganz einzigartig. In der Formgebung moderner als beispielsweise die Putzbauten am Habichtsweg, wirkt er doch nicht so streng und karg wie die Blocks von Ostermeyer und Schneider (Fuhlsbüttler Straße/Dennerstraße, Habichtsplatz). Manche Betrachter fühlen sich an Wiener Gemeindebauten der Zeit erinnert. Der Wechsel mit Backsteinabschnitten belebt die Wasserseite, offenbar eine Anregung für die großflächiger gegliederten Neubauten am Flachsland. Im Kanal-Tiefgeschoss wurden nach dem Kriege Boote gelagert, wenn nicht schon früher.
Der Name erinnert wie der seit langem stillgelegte Grillenscheucher-Brunnen im schönen Hofraum an Daniel Bartels (1818-89), Bürochef und Archivar von Beruf, humoriger Verseschmied aus Liebhaberei. Seine einst beliebten Werkchen sind in den 10 Bänden des „Grillenscheuchers“, eines Gemütsaufheiterers also, zusammengefasst. Die Terrakottajungfrauen sind wie der anspruchslose Brunnen von dem Bildhauer Ludwig Kunstmann (1877-1961) geschaffen. Isoliert gesehen, mag ihr Kunstrang verschieden beurteilt werden. In der Art, wie sie den rundbogigen Torweg flankieren, sind sie ein gutes Beispiel harmonisch mit Gebäuden verbundener Plastiken im Stadtraum.
Ein nicht so gutes Beispiel gewollter Eigenständigkeit: die Bronze vorm Haus der Jugend am Flachsland. Die neue Auffassung von der Kunstwerkfunktion, die sich im Förderprogramm „Kunst am Bau“ langsam durchsetzte, führte eben nicht immer zu besseren Ergebnissen.
„Up’n Flachsland Wisch“ hieß das hier am Osterbekbach gelegene Flurstück, auf dem die Barmbeker Bauern Flachs für Öl und Leinen anbauten. Wisch bedeutet Wiese. 1884 wurde die Straße angelegt. Schon 11 Jahre früher, 1873 wurde an der Südseite (Hausnummer 31) eine Fabrik errichtet. Verschiedene Produktionen wechselten sich auf dem Grundstück bis in die letzte Nachkriegszeit ab. Es begann mit Dampfkesseln und endete mit Armaturen (Firma Sauerland). Von den kleinen Wohnhäusern, die um 1890 herum entstanden, ist eines an der Wasserseite übriggeblieben (Hausnummer 44). Erster Besitzer war ein Sohn des Betriebsleiters der Gummifabrik auf der andern Osterbekseite. 1901 hielt er noch einmal die Bachsenke im Foto fest: Jenseits weiden Kühe, links ist schon die Aushubkante des Kanalbetts zu sehen. Bald wird der größte Teil des Gartens verloren sein. 1901/1902 wurde der Kanal gebaut. Danach kamen die hohen Etagenmietshäuser hinzu, die der Straße bis zu ihrer Zerbombung das städtische Gepräge gaben.
Erwähnenswert im Eckhaus Flachsland 23 ist die Gastwirtschaft von Robert Mause, in der der Musikclub Lassalle verkehrte, ein Stück Arbeiterkultur. Roberts Bruder Gustav war Wirt in der Pro-Burg in der Lohkoppelstraße. Seit 1996 bestimmt die einheitlich gestaltete Häuserzeile der Frank-Gruppe das Bild der Straße. (Planung durch APB). Der Bau wurde schon 1995 vom Architekten- und Ingenieurs-Verein Hamburg prämiert. Die großzügig gegliederte Rückfront ist die eigentliche Schauseite. Neubauten gibt es auch in der Maurienstraße. Die Feuerwache wurde 1991 hierher verlegt von der Bachstraße, wo sie 1898 das alte Spritzenhaus am Markt ersetzt hatte. Nur das Fehlen der Brücke erinnert noch unübersehbar an den Krieg.
Um die Jahrhundertwende gab es hier beidseits der Fuhlsbüttler Straße fast keine Bebauung. Erst in den 1920er Jahren entstand auf immer noch weithin freiem Gelände das neue Wohnquartier. Barmbek-Nord ist also rund 40 Jahre jünger als der Süden. Und anders als der Süden hat es, über Zerbombung und Wiederaufbau hinweg, sein Gesicht behalten. So wie das Franksche Laubenganghaus gleich hierneben. Barmbek-Nord wurde nicht so gebaut, wie es der Bebauungsplan vorsah. Durch viele Änderungen im Kleinen realisierte Schumacher faktisch einen anderen, besseren, Plan.
Das alt-neue Gesicht Barmbek Nords
Wenn wir einmal das jüngere Barmbek-Nord (zwischen Hellbrookstraße und Meister-Bertram-Straße) für sich nehmen, so war der Zerstörungsgrad hier bei Kriegsende erheblich niedriger als in Barmbek Süd. Der amtliche Schadensplan vom Sommer 1945 verzeichnet, grob geschätzt, bei einem Drittel der Häuser Totalschaden. Zirka zwei Drittel waren leicht bis schwer beschädigt oder unbeschädigt. Der Eindruck, den viele Straßenzüge Barmbek Nord heute machen, täuscht. Gebäude, die aus der Vorkriegszeit, zumeist den 20er Jahren, zu stammen scheinen, waren bei Kriegsende in Trümmer gesunken oder völlig ausgebrannt. Sie wurden nach den alten Plänen wiederaufgebaut. (Teils wurden alte, aus dem Schutt herausgeholte Steine verwendet. Wer aufmerksam hinschaut, entdeckt oft „Nahtstellen“ zwischen altem und erneuertem Mauerwerk. Das Foto von 1943 zeigt ein stehengebliebenes Stück Rückwand (Hochbahnseite) des Laubenganghauses.
Das Franksche Laubenganghaus
Laubenganghaus nannten die Brüder Frank einen von ihnen entwickelten Haustyp, den sie erstmals 1927 hier am Heidhörn parallel zur Hochbahn bauten. Paul A. R. Frank war Architekt, sein Bruder Kaufmann. Das Laubenganghaus war ein Versuch, den Wohnungsbau zu verbilligen, ohne die Wohnungsqualität allzu sehr zu verschlechtern. Da alle Wohnungseingänge auf einem Stockwerk am langen Laubengang lagen, konnten Treppenhäuser eingespart werden. Trotzdem war bei jeder Wohnung die Querlüftung zwischen dem Laubengang und der anderen Hausseite gewährleistet. Die Raumaufteilung war bei meist ca. 55 Quadratmetern äußerst rationell. Vom Laubengang her betrat man durch einen kleinen Windfang hindurch gleich die relativ große Wohnküche, an die sich zwei Zimmer anschlossen. Nur 12 der 133 Wohnungen im Haus hatten ein Zimmer mehr. Die Miete, zwischen 40 und 45 Reichsmark, war für damalige Neubauten ziemlich niedrig. Die ersten Mieter mussten allerdings, nach Auskunft eines früheren Bewohners, auch einen Baukostenzuschuss aufbringen, der ihnen im Laufe von etwa dreißig Jahren in kleinen Beträgen zurückgezahlt werden sollte. Gemeinschaftseinrichtungen sollten den fehlenden Komfort der Wohnungen teilweise ersetzen. Dachgarten und Sonnenbad mit Duschen und Turngeräten auf dem Flachdach, ferner Waschküche und Bäder. Aber diese Einrichtungen waren nicht nur ein Notbehelf, sondern sie begünstigten auch ein Gemeinschaftsleben, das seinerzeit anscheinend mehr gepflegt und geschätzt wurde als heute. Auch der Laubengang kam einer engen Nachbarschaftlichkeit entgegen. Im Laubengang konnten Kinder spielen, er konnte als gemeinsamer Balkon benutzt werden. Wer allerdings dies Beieinander nicht so mochte, konnte sich ihm dennoch schwer entziehen. Nach dem Kriege wurde das Laubenganghaus, von dem die Bomben kaum etwas übriggelassen hatten, so wiederhergestellt, dass es von außen kaum als Nachbau zu erkennen ist.
Fritz Schumacher, Architekt und Städtebaumeister
Lebensdaten: Fritz Schumacher wurde 1869 in Bremen geboren. Er war Hochschulprofessor für Architektur in Dresden, als er 1909 nach Hamburg berufen wurde. Ihm war zwar nur die Leitung des Hochbauwesens übertragen, aber er setzte sich auch mit wichtigen Fragen des Städtebaus und der Landesplanung auseinander. Dass Schumachers ausgreifender Tatendrang auch Rivalitäten erzeugte, war nur natürlich. Nachdem er 1919 den Kölner Wettbewerb zur Bebauung des früheren Festungsvorfelds (Innerer Rayon) gewonnen hatte, bewog Oberbürgermeister Konrad Adenauer ihn, einen Generalbebauungsplan für Köln auszuarbeiten. Schumacher ließ sich deshalb für drei Jahre von Hamburg beurlauben. 1923 trat er seinen Dienst wieder an, nun als Oberbaudirektor mit erweiterter Zuständigkeit. Die Wohnkomplexe und -viertel der 1920er Jahre trugen seine Handschrift unter dem Motto „ein Gürtel um Hamburgs alten Leib'“. 1933, nach der NS-Machtübernahme, wurde Schumacher entlassen. 1942 vertauschte er sein Haus An der Alster 39 mit einer Etagenwohnung in der Maria-Louisen-Straße. 1943, nach der Ausbombung, zog er nach Lüneburg, wo er 1947 starb.
Wirkung und Nachwirkung in Hamburg: Angesichts der Verwüstungen, die der Bombenkrieg in Hamburg angerichtet hatte, glaubte Schumacher, dass seine Arbeit größtenteils zunichte gemacht sei. Wie sehr er hierin irrte, konnte er leider nicht mehr erfahren. Die Spuren seines Wirkens sind in Hamburg so unübersehbar, wie sie es vor dem Kriege waren. Viel Beschädigtes ist instand gesetzt worden, viel Zerstörtes wiederaufgebaut worden. Schumachers faktischer Einfluss reichte noch über die Amtskompetenz hinaus. Sucht man nach einer Erklärung, so lässt sich an seinen überragen- den Sachverstand denken und an sein ungewöhnliches Geschick, in Rede und Schrift die eigenen Vorstellungen zu propagieren. Aber vielleicht können einzelne Eigenschaften seinen Einfluss überhaupt nicht hinlänglich erklären, sondern nur jenes Zusammenspiel verschiedener Eigenschaften, das man etwas hilflos Wirkung der Persönlichkeit zu nennen pflegt. Selbst ein Schumacher allerdings konnte heutzutage der baulichen Entwicklung einer Stadt nicht in dem Maß seinen Stempel aufdrücken, wie er es in den 1920er Jahren vermochte. Die komplizierter gewordenen Beratungsprozeduren und Entscheidungsmechanismen würden ihn daran hindern. Komplizierter heißt in diesem Fall zugleich: demokratischer. Leider teils wohl auch: bürokratischer.) Gewiss, Teilhabe, Mitsprache, Kontrolle sind demokratische Werte. Anderseits zeigt Schumachers Wirken in Hamburg, was der weite Gestaltungsspielraum eines Einzelnen positiv ermöglichen kann. Schumacher war ein Konservativer. Ein Konservativer, der den Problemen seiner Zeit zugewandt war, der soziales Verantwortungsbewusstsein hatte und nach Harmonie strebte. So wurde der Massenwohnungsbau (preiswert und bewohnerfreundlich) für ihn zur wichtigsten städtebaulichen Aufgabe der 20er Jahre. Als Lenker der Entwicklung trachtete er zwischen auseinandergehenden Interessen zu vermitteln und unterschiedliche architektonische Richtungen dem großen Ganzen unterzuordnen. Dem Backstein, bzw. der Backsteinverkleidung, schrieb er harmonisierende Kraft zu.
Der Architekt: Schumacher war auch als bauender Architekt kein Moderner, entschloss sich aber in den späteren 1920er Jahren in vielen Fallen zu wesentlich modernerer Gestaltung. Eine Art Stilumbruch, in einem Alter, wo andere sich zur Ruhe setzen. An den weit über hundert städtischen Bauten, die Schumacher in den neunzehn Jahren seiner Hamburger Tätigkeit entworfen hat, sind sowohl ein allmählicher Stilwandel als auch dieser Stilumbruch abzulesen. Die Notwendigkeit, an den Baukosten zu sparen war es, die Schumacher zu einer gestalterischen Vereinfachung veranlasste, mit der er sich der Neuen Sachlichkeit annäherte. Weder aber scheint Schumacher dies als Selbstverleugnung empfunden zu haben, noch wird das stilistische Gepräge dieser Bauten durch den äußerlichen Sachzwang irgendwie abgewertet. Wir zählen manche Bauten dieser Phase, wie z.B. die Schule Uferstraße, Ecke Wagnerstraße, zu den gelungensten und zeitlosesten Schöpfungen Schumachers, jedenfalls was das äußere Erscheinungsbild betrifft.
Der Kunstförderer und Schriftsteller: Wenn irgendwo, dann hat Schumachers Hang zur „Dämpfung‘ der Modernität am ehesten bei der Auswahl mitwirkender Künstler manchmal zu fragwürdigen Ergebnissen geführt. Wir denken hier insbesondere an Richard Kuöhls Plastiken an Gebäuden und im öffentlichen Raum. Zum Beispiel Relief und Schmied am Von-Elm-Hof, sowie den Rattenfängerbrunnen. War Kuöhl auch technisch-handwerklich versiert, so ist seine Kunst doch recht hausbacken, was bei ornamentalen Erzeugnissen weniger auffällt als bei figürlichen. Auch Schumachers fachliterarisches Schaffen ist nach Gehalt und Umfang, zumal als Nebenprodukt eines höchst arbeitsreichen Lebens, bewundernswert. Zu seinen wichtigsten Schriften gehört „Das Werden einer Wohnstadt“, Resümee und Rechenschaft seiner Arbeit als Städtebauer in Hamburg. Der Titel bezieht sich natürlich auf die gesamte Stadt. Wir haben uns erlaubt, ihn auf Barmbek anzuwenden.
Hundert Jahre Wohnungsbau und ein verwandelter Plan
Der älteste Mietshaustyp in Barmbek Nord waren die „Langen Jammer“. Es handelt sich um sehr einfache und langgestreckte eingeschossige Häuser, die vereinzelt ins offene Gelände gestellt wurden (z. B. am Langenfort, an der Steilshooper Strafle). 1914, beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs, war die geschlossene Bebauung vom Süden her bis zur Hellbrookstraße vorgedrungen. Erst in den 1920er Jahren wurde weitergebaut, in größerem Umfang ab 1925, als die Inflation überwunden war und die staatliche Förderung Wirkung zeigte. Während für Dulsberg 1919 ein neuer Bebauungsplan anstelle des vorher gültigen beschlossen wurde, musste die Umformung des Planes für Barmbek Nord in vielen Einzelschritten mosaikartig vollzogen werden. In vielen Einzelverhandlungen wurden die jeweiligen Bauherren und ihre Architekten bewogen, veränderte Bedingungen für ihre Bauvorhaben zu akzeptieren. So erreichte Schumacher es, dass sich die Einzelplanungen mehr oder weniger in sein Gesamtkonzept für Barmbek-Nord einschmiegten.
Vom alten Bebauungsplan unterschied sich dies Konzept vor allem in zweierlei Hinsicht. Das Häusermeer wurde nun durch mehrere Grünzüge unterbrochen. Und die Grundflächen der Häuserblocks waren so verkleinert, dass mit einer reinen Randbebauung ohne Hinterhäuser eine ausreichende Grundstücksnutzung erzielt werden konnte. Außerdem wurde die Höhe der Häuser begrenzt, und zwar abflachend‘ in Richtung der Stadtgrenze zum preußischen Bramfeld/Steilshoop hin. Barmbek-Nord wurde eine Wohnstadt. So wollte es Schumacher. Sicher, Fabriken, die mit ihren Emissionen die Menschen belästigen, gehören nicht in Wohnviertel. Aber die prinzipielle Trennung von Wohn- und Arbeitsort kann nicht, jedenfalls nicht mehr, Richtschnur der Stadtplanung sein, erzeugt sie doch zu einem gut Teil die Verkehrsströme, an denen unsere Städte zu ersticken drohen. Einige große Arbeitsstätten waren freilich schon da, als die Wohnstadt wuchs. So die Ichthyolfabrik am Suhrsweg, die 1896 vom Flachsland hierher und 1931 noch weiter hinaus verlegt wurde. Auch Ortmann und Herbst (Alte Wöhr bis 1994), die Abdeckerei (Steilshooper Strafle bis 1930), die alte Schiffsbauversuchsanstalt (Schlicksweg) und das Krankenhaus (1913 eröffnet) standen schon.
Der große Vorderhof dieses 1901/02 errichteten backsteinroten Häuserkomplexes ist das Merkmal der „Hamburger Burg“. Die „Burg“ ermöglichte Vorderfenster für alle Wohnungen bei guter Grundstücksnutzung. Der genossenschaftliche Bau- und Sparverein zu Hamburg, Bauherr auch hier, hat diese Form sozusagen eingeführt: 1899 am Stellinger Wegin Eimsbüttel (Ecke Methfesselstraße). Vor allem die „Gemeinnützigen“ wandten sie bis zum 1. Weltkrieg häufig an. Z. B. Der Konsum-, Bau- und Sparverein „Produktion“ (P R O) 1906 an der Brucknerstraße. Der Bauverein tat es 1910 beim 1943 zerstörten Block an der Pestalozzistraße gleich zweifach. Von den 228 Wohnungen hier waren 167 zweizimmrig (ohne Bad). Miete: 240-257 Mark jährlich, etwa 1/6 vom Gesamteinkommen eines Arbeiterhaushalts. Die umgebende „ungeordnete, von keiner sozialen Rücksicht gelenkte Bebauung“ verwandelte sich 1943 in eine Trümmerwüste. Die Nachtigallenstraße und teils auch die Hansdorfer sind heute Fußpfade. 1945 begann die Wiederherstellung der praktisch unbewohnbaren „Burg“.
1892 wurde der Bauverein gegründet. Die Initiative war vom Evangelisch-sozialen Arbeiter-Verein zu Hamburg (namentlich vom späteren Pastor Paul Ebert) ausgegangen. Neben Handwerkern und Arbeitern traten Bildungs- und Besitzbürger bei, wie der Gummifabrikant und spätere Senator Traun. Um der „Wühlerei“ einer sozialdemokratischen Minderheit zu begegnen, formte sich der Bauverein 1903 in eine Aktiengesellschaft um. Männer wie Traun handelten karitativ und quasi vormundschaftlich. Wenn sie eine politische Absicht verfolgten, dann mittelbar. Im Gegensatz zur „Produktion“ wollte der Bauverein die gesellschaftlichen Verhältnisse bewahren, nicht erneuern, und die Klassen versöhnen, statt die herrschende Klasse zu entmachten.
Die Kanalisierung des Eilbek begann 1854. Nach mehreren Schritten des Weiter- und Breiterbaus wurde sie 1900 mit dem Löschplatz, das heißt Entladeplatz, an der Lortzingstraße (hinter der Von-Essen-Straße) abgeschlossen. Das erste schmale und flache Stück von Wartenau bis Wagnerstraße mussten Insassen des Werk- und Armenhauses (heute Heim Oberaltenallee) ausheben.
Bis zum 2. Weltkrieg befuhren Alsterschiffe den Kanal. Nach dem Krieg wurde etwas von der ehedem verdrängten Natur zurückgeholt. Manche Uferpartien wurden freundlicher und grüner gestaltet. Auf Wandsbeker Seite hieß der Bach, der beim Dorf Siek entspringt, vor 1820 Bek oder Mühlenbek, dann erst Wandse. Wande bedeutet Grenze. An seinem gesamten Lauf trieb er bis zu 8 Mühlen. Die bekannteste war wohl die Kuhmühle, die 1874 abgebrochen wurde.
Seit dem 12./13. Jahrhundert bildete der Bach auch die Grenze zwischen dem Barmbeker und dem Eilbeker Land. Keine sehr trennende Grenze, denn das Hamburger Heiligengeisthospital hatte hier wie dort die Herrschaft erworben. In Eilbek 1247, in Barmbek zwischen vermutlich 1300 und 1365. Für das Dorf Barmbek hatte das Hospital auch die hoheitlichen Rechte erworben. Für die 3 Eilbeker Höfe blieben diese zunächst bei den Schauenburger Grafen. Nachdem das Hospital (personifiziert: die Oberalten) 1830 die Regierungsgewalt über Barmbek verloren, aber ausgedehnten Landbesitz in Eilbek behalten hatte, wurde es 1883 vom Rödingsmarkt an die Richardstraße Nummer 85 verlegt. 1901 zog auch das Marien-Magdalenen-Kloster, in Wahrheit ein Wohnstift, vom Glockengießerwall an die Richardstraße Nummer 77. Beide wurden 1943 ausgebombt und sind seit 1951/52 in Poppenbüttel vereint. Die steinerne Brücke wurde 1900 gebaut, zuletzt 1994 instand gesetzt.
Das Haus Nr. 48 ist 1882 noch in der frühen Verstädterungsphase Barmbeks entstanden. Ganz anders ist zum Beispiel das Erscheinungsbild der Etagenhäuser in der Flotowstraße. Vierspänner heißt, auf jedem Geschoss liegen 4 Wohnungen. Hier auf rechteckigem Grundriss an jeder Ecke des Hauses eine mit je ca. 40 Quadratmeter. Querlüftung, dann von den Wohnreformern gefordert, war nicht möglich.
Der Fotograf Erich Andres berichtete, am 30. Juli 1943, dem Tag nach Barmbeks Zerbombung, sei an dem Haus eine antifaschistische Parole zu lesen gewesen. Symptomatisch für den Stimmungsumschwung, den die Operation Gomorrha in Teilen der Hamburger Bevölkerung auslöste. Viele kehrten sich vom Regime ab, wurden vorübergehend gleichgültiger seinen Drohungen gegenüber. Den Spruch fotografierte Andres natürlich nicht, es wäre zu riskant gewesen. Wohl aber einige der Bewohner, die ihr Haus, so Andres, vorm Niederbrennen gerettet hatten. Nach friedensmäßiger Gewohnheit haben sie sich zum Gruppenfoto aufgestellt, in Form eines V. Auch den Anfang der Heitmannstraße bei der Hamburger Straße hat Andres fotografiert. Unter Bergen von Schutt und großen Mauerbrocken ist der Fahrdamm begraben.
An diesem 30. Juli 1943 war Frau H., die schräg gegenüber einen Brotladen betrieben hatte, schon seit einem Dreivierteljahr in Theresienstadt, im Lager. Sie war Jüdin. Ihr nichtjüdischer Mann war im Ersten Weltkrieg gefallen. Kein Grund, die Deportation aufzuschieben, wie im Falle noch bestehender so genannter Mischehen. Frau H. hatte Glück, sie erlebte die Befreiung und traf mit einem Rücktransport an der Finkenau ein. Der Brotladen in der Hausnummer 43, zerstört wie die meisten Hauser rundum, war in der Parterrewohnung eingerichtet.
Wenn wir Leben als etwas Reges, sich Entfaltendes, Pulsierendes verstehen, dann war der Straßenzug Hamburger Straße / Markt bis zum Ende der 30er Jahre Barmbeks Lebensader. Seit dem Mittelalter städteverbindender Verkehrsweg, seit den 1870er Jahren Ausstrahlungsachse der Verstädterung, seit den 1890er Jahren Geschäfts- und Einkaufsstraße, seit den 1920er Jahren gar mit einem weltstädtischen Anflug. — Und heute?
Die Landstraße
Der Straßenzug Hamburger Straße / Markt war Jahrhunderte hindurch Teil einer Landstraße von Hamburg nach Lübeck. Wer nach Norden Richtung Bramfeld weiterwollte, musste den Osterbekbach durch eine Furt passieren. Erst 1836 wurde dort im Auftrag der Hamburger Landherrenschaft eine solide Fahrbrücke errichtet. Die Landstraße wird die Barmbeker ständig in losen Kontakt mit der Welt jenseits ihrer Feldergrenzen gebracht haben. Am Südbarmbeker Teil der Straße siedelten sich im 19. Jahrhundert in größerer Zahl Gastwirte, andere Gewerbetreibende und Handwerker an.
Die Nahverkehrsroute
Ab 1841 gab es eine Personenbeförderung im Linienverkehr zwischen Hamburg und Barmbek-Markt. Die Pferdeomnibusse fuhren selbstverständlich durch die sogenannte Hauptstraße (ab 1862 amtlich Hamburger Straße). 1867 wurden die Pferdeomnibusse durch die Pferdeeisenbahn abgelöst, und ab 1895 wurden die Straßenbahnen elektrisch angetrieben. Die Straßenbahn behielt – neben S- und U-Bahn – ihre Bedeutung als Massenverkehrsmittel in Hamburg bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Die nebenstehende Skizze zeigt das Barmbeker Straßenbahnnetz Ende der 30er Jahre. Durch die Hamburger Straße fuhren vier (plus zwei) Linien, d. h. in beiden Richtungen alle paar Minuten eine Bahn.
Der Wandel der Hamburger Straße
Ganz am Anfang der Verstädterung, um 1870, war die Bebauung entlang der Hamburger Straße überwiegend recht einfacher Art, sie war lückenhaft, zusammengewürfelt und niedrig. In den folgenden Jahrzehnten wurde abgerissen und neu gebaut: meist vier- bis fünfgeschossige Mietshäuser, die im Erdgeschoß gewöhnlich gewerblich genutzt wurden und des öfteren auch im ersten Stock. 1914, vorm Ausbruch des Ersten Weltkriegs, waren nicht nur die Lücken geschlossen, sondern auch von der frühen Bebauung nur noch wenige Reste übriggeblieben. In dem Male, in dem die Bevölkerung in Barmbek-Süd und im damals noch bis zur Bachstraße reichenden Uhlenhorst zugenommen hatte, hatten sich die Ladengeschäfte in der Hamburger Straße vermehrt. Schon in den 1890er Jahren war sie eine städtische Einkaufsstraße geworden.
In den 20er Jahren wurde an der Hamburger Straße weiter erneuert und modernisiert, wenn auch in geringerem Umfang. Der Bau des neuen Karstadt-Warenhauses 1928 wirkte wie ein Signal. Nach dem Empfinden nicht nur der Barmbeker hatte die Hamburger Straße mit diesem hochmodernen „Konsumtempel“ endgültig den Rang einer großstädtischen Haupteinkaufsstrafle erreicht. (Eine der attraktivsten in Hamburg sei sie gewesen, gleich nach der Mönckebergstraße, schrieb ein alter Barmbeker im „Wochenblatt‘.) Eine Straße voller Leben war sie: „’Viele Leute gingen am Abend dort noch spazieren und sahen sich die Schaufenster an.“
Der Verkehr – von Fußgängern, Karrenschiebern, Radfahrern, Pferdefuhrwerken, Straßenbahnen und Automobilen – war zwar insgesamt schwächer als heute, aber vielfältiger und bunter. Nach der Kriegszerstörung wurde entlang der Hamburger Straß verspätet und insgesamt wenig planvoll neu aufgebaut. Das Straßenbild ist sehr uneinheitlich und unansehnlich, und verglichen mit den 20er, 30er Jahren, ist die Hamburger Straße heute – sieht man vom Autoverkehr und vom Einkaufszentrum ab – regelrecht verödet.
Früher – heute: von 290 zu 76
Was es heißt, dass die Hamburger Strafe eine Haupteinkaufsstraße war, lässt sich anhand der Zahlen klarmachen. Nach dem Adressbuch von 1938 haben wir, ziemlich gleichmäßig über die ganze Länge verteilt, rund 290 Ladengeschäfte und Gastwirtschaften gezählt. (Dabei haben wir in der Regel nur Erdgeschoßlage und ausnahmslos Hausnummern der Hamburger Straße berücksichtigt.) In fast 80 dieser Geschäfte wurden Lebensmittel und für den Magen bestimmte Genussmittel verkauft (Gastwirtschaften hier nicht mitgezählt). Heute (Ende 1994) bestehen an der Straße 76 Ladengeschäfte und Gastwirtschaften. (Dabei sind vom Einkaufszentrum Außenfront Parterre und – anders als 1938 – die Oberaltenallee mitgerechnet.) Auch dieses Zahlenverhältnis erklärt, warum heute weniger „Leben“ in der Hamburger Straße ist.
Der Vorstadtcharme des Markts
Dem Markt bekam die Verstädterung weniger gut als der Hamburger Straße. Von den 1870er Jahren bis nach der Jahrhundertwende war der Markt eine eher beschauliche, noch halb ländliche Vorstadtstraße. Auf den um 1900 entstandenen Fotos wirkt er freundlich, gepflegt, mit baumbestandener Promenade in der Mitte und niedriger Bebauung an den Seiten, die vereinzelt sogar aus dem 18. Jahrhundert oder noch älterer Zeit stammte. Liebevoll beschrieben hat den Markt der 1870er Jahre Michaelis-Pastor Schwieger, der dort einen Teil seiner Kindheit verlebte. 1816 wurde auf dem Markt erstmals Jahrmarkt abgehalten, ab 1825 regelmäßig zweimal im Jahr, später dann wohl nur noch einmal jährlich. Der Brauch wurde bis in die 1890er Jahre beibehalten und lebte dann – kriegsbedingt – noch einmal Anfang der 40er Jahre für kurze Zeit auf. Der 1910/11 errichtete Hochbahnviadukt veränderte den Markt von Grund auf. Die Mittelpromenade verschwand, und das neue Bauwerk zerschnitt die Straße der Länge nach. Auch am Markt begannen nun vier- und fünfgeschossige Häuser die niedrige Altbebauung zu verdrängen, und bald wirkten die Überbleibsel aus vorstädtischer Zeit – nach den Fotos aus den 20er und 30er Jahren zu urteilen – weniger idyllisch als deplaziert. Zum Schaufensterbummel lud der Markt sehr wahrscheinlich auch in der Zwischenkriegszeit nicht ein. Immerhin konnte man damals unter dem Hochbahnviadukt, dem „Barmbeker Regenschirm“, noch entlanggehen; Verkaufsstände konnten darunter aufgeschlagen werden. Heute sind da die Tauben mit ihrem Dreck allein.
Die Straße war gerade erst hergerichtet worden, als 1909/10 die meisten Häuser an dem Abschnitt bis Imstedt gebaut wurden. Es sind fast durch gehend Dreispänner, das heißt Häuser mit 3 Wohnungen pro Geschoss. Als Zeugnis jener Zeit ist die vollständig erhaltene Reihe an der Ostseite heute eine Seltenheit im alten Barmbek Süd, das an der Bachstraße endete. Luftkrieg und Wiederaufbau haben den Stadtteil verwandelt. Auch die Südseite des Flotowstraßenstücks ist nicht verschont geblieben (Hausnummern 11 bis 15 und Nummer 19). Trotzdem können wir uns hier in der Phantasie leicht um viele Jahrzehnte zurückversetzen. Freilich müssen wir uns die parkenden Autos weg- und zahlreiche kleine Läden und Verkaufsräume hinzudenken.
Repräsentativ für ganz Barmbek Süd und den angrenzenden Streifen Uhlenhorsts war die Flotowstraße allerdings nicht. Wer sich zur Herderstraße hin im Quartier umschaut, wo es noch manche Reste der Kaiserzeit-Bebauung gibt, wird sich davon überzeugen können. Die Flotowstraße wirkt schon durch ihre Breite großzügiger als etwa Bachstraße und Humboldtstraße. Die Fassaden sind vergleichsweise ansehnlich. In den tieferen Häusern an der Westseite, zum Sportplatz hin, waren die Wohnungen größer geschnitten als in den Häusern an der Ostseite, zur nahen Framheinstraße hin. Diese Straße ist mitsamt ihrer Bebauung auf dieser Höhe verschwunden. Auf beiden Seiten aber wohnten nur sehr wenige Arbeiter. Ganz anders als in der Humboldtstraße, vor allem ihren Terrassen.
Dass die Lücke der Hausnummer 13 nicht wieder geschlossen wurde, ergab sich aus dem Grünzüge-Konzept der Nachkriegszeit. Typisch für die 1950er Jahre sind die Zeilenbauten, die sich nach Osten bis zum Biedermannplatz hin anschließen.
Seit Anfang des Jahrhunderts gab es in der Hamburger Straße ein Kaufhaus: bei der heutigen Adolph-Schonfelder-Straße. 1927/28 wurde „Heilbuth“ abgerissen und durch den hochmodernen Karstadt-Bau ersetzt. Karstadt war von dichter Wohnbebauung umgeben: lichtarme Höfe, kaum Grünflächen, viele Menschen auf engem Raum. Der Bombenkrieg hinterließ von Karstadt und den meisten umstehenden Häusern nur Trümmer und Ruinenreste. Freie Bahn insofern für die Stadtplaner! Die neue Wohnbebauung zum Alten Schützenhof hin, überwiegend Ende der 50er Jahre entstanden, hat zumindest einen Vorzug gegenüber der alten: sie ist wesentlich aufgelockerter.
Konkurrenz für die Ladeninhaber
Heilbuth rühmte sich seiner niedrigen Preise. Vielleicht waren sie auch deshalb so niedrig, weil die Personalkosten unbarmherzig gedrückt wurden. Jedenfalls scheint die schlechte Bezahlung der Verkäuferinnen – auch in anderen Hamburger Warenhäusern – fast sprichwörtlich gewesen zu sein. Die kursierenden Angaben (Monatslöhne noch unter dem durchschnittlichen Wochenlohn eines Arbeiters) können allerdings höchstens für einen Teil des Personals zutreffen.
Für viele Ladenbesitzer mag Heilbuth – und erst recht später Karstadt – eine bedrohliche Konkurrenz gewesen sein. Dennoch haben sich in und neben der Hamburger Straße kleine Geschäfte in großer Zahl behauptet. Dass die von Heilbuth ausgehende Gefährdung in der Barmbeker Bevölkerung ein Gesprächsthema war, lässt folgender Bericht eines Polizeispitzels aus dem Jahr 1903 vermuten: „Von 9.15 – 10 Uhr wurde die Wirtschaft von Michel, Hamburgerstraße 162, besucht. Daselbst waren einige Arbeiter anwesend, die sich unterhielten. Ein Arbeiter sagte: „Man muss sich wundern, dass bei den vielen Warenhäusern, die zur Zeit schon in Hamburg existieren, immer noch neue Warenhäuser gebaut werden. Den Bau, den Heilbuth in die Hamburgerstraße gesetzt hat, übertrifft an Größe alle bisher ausgeführten Warenhäuser. Dass auf einem so großen Geschäft aber noch viel größere Lasten ruhen, ist doch sicher und darf man gespannt sein, wie Heilbuth sich in diesem Geschäft schadlos halten will. Für die Barmbeker Geschäftswelt ist das Heilbuthsche Warenhaus der Nagel zum Sarg, denn bekanntlich sind es gerade die kleinen Leute, welche ihre Einkäufe in den Warenhäusern decken und am allerersten von den kleinen Geschäftsleuten (abspringen).’“
Der Glanzpunkt der Hamburger Straße
Karstadt mit seiner auffälligen Architektur, seinen 32 Schaufenstern und fast 250 Metern Straßenfront, seinem Dachgarten, der eleganten Innenausstattung und den 1928 noch ungewöhnlichen Rolltreppen war eine Attraktion. Eine Attraktion für Schaulustige und Käufer, die wohl aus großem Umkreis kamen, also auch aus Hohenfelde, Eilbek, Uhlenhorst, Winterhude. Eine Attraktion nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder. Die anschließend wiedergegebenen Erinnerungen können für viele ähnliche stehen. (Bestätigt werden sie durch eine Studie der Psychologin Martha Muchow, die 1932 „Spielorte“ Barmbeker Kinder beobachtete, darunter auch Karstadt.)
Zitat 1: „Das Hineinkommen in das Kaufhaus war für Kinder nicht einfach. Vor dem Eingang stand ein uniformierter Portier und ließ Kinder ohne Erwachsene nicht in das Haus.Wir fragten deshalb immer Frauen, ob sie uns mit hineinnehmen würden – fast alle machten es.“
Zitat 2: „Dieses phantastische neue Ding – Rolltreppe … War echt Spitze, nur raufstellen und schon ging es auf- oder abwärts. War jedenfalls problemloser als Fahrstuhlfahren. Da war immer so einer in Uniform, der auch die einzelnen Stockwerke und ihre Abteilungen runterleierte; ich hab mich oft gefragt, ob der zu Hause auch so leierig spricht, den ganzen Tag von 8 – 19 Uhr Fahrstuhl rauf und runter und jedes Stockwerk das gleiche: Hosen, Trikotagen … USW. USW. … Endlich konnte er mal etwas Amtliches loslassen: Seid ihr alleine? Manchmal hatten wir Glück und konnten unsere kleine Hand irgendeiner netten ‚Tante‘ in die ihre schieben, dann war die Sache gelaufen … Vom Dachgarten ließen wir gerne selbstgemachte Papierschlangen runtersegeln.“
Zitat 3: „Wenn in den Schaufenstern bewegliche Märchenbilder gezeigt wurden, drückten wir uns oft die Nasen an den Scheiben platt. Viele Wünsche hatten wir – erfüllt wurden sie selten, und so blieben ein Roller oder ein Fahrrad oft nur Träume.“ (Leserzuschriften ans Barmbeker Wochenblatt)
Das Nachkriegs-Wohnquartier „hinter“ dem Einkaufszentrum
Das heutige Wohnquartier zwischen Bostelreihe und Mozartstraße/Imstedt weist Merkmale auf die typisch sind für den Neuaufbau der 50er Jahre. (Barmbek-Nord dagegen ist größtenteils so wiedererstanden, wie es vor der Zerbombung war.) In „Hamburg und seine Bauten“ (Erscheinungsjahr 1968) wird der Neuaufbau folgendermaßen charakterisiert: „In der ersten Phase der Stadtbaugestaltung (in Hamburg), dem Aufbau zerstörter Stadtgebiete, knüpfte man an die in den 20er Jahren entwickelten Prinzipien modernen Wohnungsbaues an, bei dem hygienische Forderungen – also insbesondere eine einwandfreie Besonnung und Durchlüftung – als Reaktion auf den Wohnungsbau der Gründerzeit im Vordergrund standen. Auf den vorgegebenen Baublöcken entstanden anstelle der geschlossenen Bebauung Zeilen in der wirtschaftlichen viergeschossigen Bauweise mit der traditionellen roten Ziegelverblendung. Man reservierte dabei mehr Platz für die Folgeeinrichtungen und gliederte die großen Quartiere durch öffentliche Grünzüge.“
Auf den Stadtteil bezogen hatte Ortsamtsleiter Plothe 1956 erklärt: „Der Aufbau in Barmbek-Süd … kann sich nicht so einfach wie in (Barmbek-Nord und Dulsberg) vollziehen. Die früher hier bestandenen Schlitzbauten und Hinterhöfe (Terrassen) dürfen nicht wieder erstehen. Eine Auflockerung … unter Bevorzugung des Zeilenbaus muss erfolgen. Daraus wird sich häufig die Zusammenlegung mehrerer Grundstücke als notwendig erweisen. Ein langsameres Voranschreiten des Wiederaufbaus hier ist daher verständlich.“
Das (Un-)Gesicht der Hamburger Straße heute
Dass der Aufbau an der Hamburger Straße selbst sich so lange verzögern würde, hatte wahrscheinlich auch Ortsamtsleiter Plothe nicht gedacht. 1970 wurde das Einkaufszentrum mit seinen Aufbauten fertiggestellt (nach Plänen von Hoffmann, H. und K. Kruse). 1972 folgten zwei der drei „Mundsburg-Türme'“ (entworfen von Garten, Kahl und Bargholz). Vom Geländestreifen zwischen Hamburger Straße und Oberaltenallee verschwanden die letzten Gebäude; er wurde zur – leider unbetretbaren – Grünfläche.
Ist es gut geworden, was so lange gewährt hat? Die Meinungen mögen geteilt sein. Wir meinen: nein. Die Hamburger Straße im ganzen hat kein „Gesicht“. Vor dem Kriege war sie voller Leben:
„Voller Leben, voller Verkehr! Aber irgendwie anders als heute. Bunter, lebhafter, geschäftiger. Straßenbahnen, einige Linien, die bimmelnd versuchten, sich Platz zu machen, Autos, so viele verschiedene Typen, wirklich verschiedene, heute sind es doch Uniformen. Aber damals! Wirklich!“ Heute fehlt dem Straßenraum jede gut proportionierte Einfassung. Eigentlich ist er nur das Bett des Verkehrsstroms, der auch am aufgetürmten Riff des Einkaufszentrums beziehungslos vorbeizufließen scheint. Gewiß, das Einkaufszentrum für sich genommen ist attraktiv, ähnlich wie seinerzeit Karstadt. Die Renovierung 1986/87 hat zwar kaum das Äußere, aber die Passage erheblich verschönert (gläsernes Tonnengewölbe von M. v. Gerkan, V. Marg und Partnern). Aber die Straße? Draußen Ödnis, drinnen Glamour: kann dies das Ziel der Stadtgestaltung sein?
1862 war der Schützenhof hier auf freiem Gelände eröffnet worden. In den 1890er Jahren – nun schon halb von Mietshäusern umgeben – waren die Schießstände eine Belästigung und eine Gefahr für die Anwohner. Darum die Verlegung zur Bramfelder Grenze. Hochst nützlich war die Folgeeinrichtung: das Bartholomäusbad mit der Bücherhalle. Denn wer hatte schon ein Bad in der Wohnung und wer konnte sich gediegenen Lesestoff kaufen? – Selber die Literatur „bereichert“ hat der legendäre “Lord von Barmbeck“, Hamburgs Einbrecherkönig um 1920. – Ecke Bartholomäusstraße hatte er sich vorübergehend als Wirt versucht.
Nachdem 1898 ein unbeteiligter Arbeiter von Nagel & Kaemp tödlich getroffen worden war, wurde die Benutzung 1900 endgültig eingestellt. Der neue Schützenhof wurde an der Bramfelder Straße beim Grenzbach (heute: Seebek) angelegt, wo heute die Schiffsbauversuchsanstalt ist. Auf dem alten Gelände blieb nur das Restaurant stehen (der vorderste Gebäudeteil im Bild). Luftbild um 1930. In der Mitte das Bartholomäusbad (in dem übrigens auch ein Standesamt eingerichtet war). Der baumbestandene Gelädndestreifen, der sich zur linken Bildecke hinunterzieht, gehörte vordem zum Schützenhof. Schräg über der Badeanstalt der Sportplatz des SV Uhlenhorst-Herta.
Sportvereine
Die Geschichte des Vereins geht bis ins Jahr 1911 zurück (Gründung des Uhlenhorster Fußball Klubs). Auf dem Platz an der damaligen Diederichstraße spielten natürlich auch andere Vereine Fußball (und Schlagball!). So z.B. der Uhlenhorster Sport-Club Paloma, der 1909 in dem Kellerlokal Humboldtstraße 123 (noch vorhanden) „aus der Taufe gehoben“ wurde. „Herta“ ist seit 1991 mit dem SC Adler vereinigt, nun unter dem Namen SV Uhlenhorst-Adler. „Adler“ (von 1925) war ein Arbeitersportverein. Die Arbeitersportbewegung war bis 1933 völlig von der bürgerlichen Sportbewegung getrennt. Andere bekannte Barmbeker Arbeitersportvereine waren „Hamburg 93″ (heute VFL 93) und der Kraftsportverein BKSV (heute „Goliath“), wo der in Fachkreisen unvergessene Amandus Spitzkopf boxte. Nach dem vom NS-Regime verhängten Verbot ’33 gingen viele Barmbeker Arbeitersportler zu „Paloma“. Nach dem Kriege wurde die – zuerst erzwungene – Einheit der deutschen Sportbewegung beibehalten.
In puncto Hygiene entwicklungsbedürftig
… war Barmbek wie die meisten ärmeren Viertel in den großen Städten (zumal den Industriestädten) bis in unser Jahrhundert hinein. In Barmbek hatten 1890 4,2 Prozent der Wohnungen und 1910 auch erst 14,8 Prozent ein Bad (in Hohenfelde dreimal soviel). Immerhin war in Hamburg seit 1882 bei Neubauten ein separates Wasserklosett für jede Wohnung vorgeschrieben. Lindley, der Konstrukteur des Wasserwerks und der Kanalisation in Hamburg, hatte in den 1850er Jahren eine offentliche Badeanstalt für 50.000 Einwohner gefordert. Dementsprechend hätten es in den 1890er Jahren zwölf sein müssen, vorhanden waren drei. Viele Menschen nahmen den Schmutz von der Arbeit mit nach Haus und konnten sich auch dort nicht gründlich von ihm befreien.Üble hygienische Verhältnisse begünstigten die Ausbreitung von Seuchen. Robert Koch wird nachgesagt, er habe bei der Choleraepidemie ’92, als er das Gängeviertel besichtigte, ausgerufen: „Meine Herren, ich vergesse, dass ich in Europa bin.“ (Hauptgrund der Epidemie war die Verunreinigung des Trinkwassers. Der Senat hatte die Erstellung einer Sandfilteranlage verschleppt.) Der Bau des Bartholomäusbades mit seinen zwei Schwimmbhallen, 30 Brause- und 77 Wannenbädern befriedigte also ein unabweisbares Bedürfnis. Und bald war das „Badlo“, wie die Barmbeker salopp sagten, ein Stück Barmbek geworden. Nach schweren Bombenschäden konnte die große Schwimmhalle (vorher Frauenhalle) schon kurz nach dem Kriege wieder benutzbar gemacht werden, nun für beide Geschlechter. 1956 war auch die kleine wiederhergestellt, die 1969 zur reinen Sportschwimmbhalle wurde. — Im Mittelteil ist das Gebäude gegenüber früher erheblich verändert.
Geistige Nahrung für Barmbek
Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft gründeten 1898 die Stiftung Hamburger Bücherhallen. Die Bücherhallen sollten „breiten Volksschichten … guten, einwandfreien Lesestoff zugänglich machen und dadurch veredelnd und fordernd auf die Leser wirken“. Die 1909 im ersten Stock des Bartholomäusbads eröffnete Bücherhalle war die vierte in Hamburg. 12.600 Bände standen für die Lesehungrigen bereit. Der Bestand stieg auf 30.000 Bände 1918 und sank wieder bis auf weit unter 20.000 Bände in den 30er Jahren. So ging auch die Zahl der Entleihungen zurück: 1916 waren es 450.000, 1936 nur 103.000. Vielgelesene Bücher zerschlissen bald, und seit dem Krieg fehlte es wahrscheinlich an Geld für nötige Nachkäufe. Auf Vergleichsbasis lässt sich für 1916 eine Leserzahl von vielleicht 10.000 annehmen. Das waren freilich bei schätzungsweise 150.000 Bewohnern im Einzugsbereich nicht sehr viele. Aber wiederum gar nicht so wenige, wenn man bedenkt, dass die Barmbeker durch häusliche und schulische Bildung wohl in relativ geringem Maße auf anspruchsvolle Lektüre eingestimmt wurden. Die männlichen Leser überwogen, und von ihnen waren 1938 beachtliche 65,4 Prozent Arbeiter, Handwerker und Lehrlinge. Insofern also wurde die Barmbeker Bücherhalle ihrer Bestimmung als Volksbibliothek gerecht. In der belletristischen Abteilung waren neben Klassikern der Weltliteratur neuere Autoren und gehobene Unterhaltungsliteratur vertreten. Selbstverständlich waren auch Kinder- und Jugendbücher aufgenommen. (Nach welchen Kriterien mögen die Bücher angeschafft worden sein? Inwieweit mögen die Kriterien ideologisch-politisch beeinflusst gewesen sein? — Interessante, doch für uns offene Fragen.)
Im Juli ’43 wurde die Bücherhalle durch Bomben zerstört. Im Mai ’49 lehnten die Wasserwerke eine etwaige Rückkehr der Bücherei ab: der erste Stock werde für die Wiederherstellung der Dienstwohnungen gebraucht, die sich früher im zweiten Stock befunden hatten. An den Wiederausbau des zweiten Stocks war zu dem Zeitpunkt nicht zu denken. Schon 1950 aber hatte Barmbek wieder eine Bücherhalle, und zwar am Reyesweg. 1958 dann wurde – in der Mitte Barmbeks – die Bücherhalle Poppenhusenstraße eröffnet. Julie Hansen, von 1919 bis ’43 Leiterin der Barmbeker Bücherhalle, schrieb nach dem Kriege: „(Durch) den geringen Wechsel in Leitung und Personal entstand allmählich ein schönes Vertrauensverhältnis. In Barmbek waren von 1909 bis 1943 ganze Generationen ständige Besucher: Großeltern, Eltern und Kinder wurden unsere guten Freunde und teilten mit uns alle Freuden und Kümmernisse. … Es sei hier einmal darauf hingewiesen, dass die Büchereiarbeit mit der gelernten Arbeiterschaft ganz besonders erfreulich und dankbar ist. Mit großem Ernst arbeiten sie sich in ihre Interessengebiete hinein, und wenn sie erst Vertrauen gefasst haben, ergibt sich ein schönes verständnisvolles Zusammenarbeiten. Eine Arbeiterin besprach mit mir immer ihr Programm für ihren Arbeiterinnenverein, und ein intelligenter Arbeiter schrieb mir: „Ich habe Sie 2 Jahre lang beobachtet und glaube jetzt, dass Sie mir auch helfen und raten können.“
Der Lord von Barmbeck
Auf der schiefen Bahn
Adolf Petersen, dem anscheinend das Hamburger Fremdenblatt diesen Titel anhängte, stammte aus armseligen Verhältnissen. Als Dreizehnjiähriger zog er 1896 mit seinen Eltern in die Heitmannstraße. Im selben Jahr begann er seine kriminelle „Laufbahn“. Er hatte bereits eine mehrjährige Haftstrafe hinter sich, als er Wirt in der Kellerkneipe hier schräg gegenüber wurde. (Nach 1904, Genaueres ist nicht zu ermitteln.) In der Kneipe verkehrten Einbrecher, die Petersen Gelegenheit gaben, seine „Ausbildung“ zu verbessern, speziell als Geldschrankknacker. In Petersens Kaschemme (ein Lieblingsausdruck von ihm) werden manche Raubzüge geplant und vorbereitet worden sein. Nach einigen Jahren hängte Petersen das Wirtsgewerbe an den Nagel, fortan lebte er nur vom Verbrechen. Im Krieg wurde er, weil als Berufsverbrecher angesehen, 1916/17 für ein Jahr interniert. Wahrscheinlich aus demselben Grunde wurde er nicht eingezogen.
Große Karriere
Nach der Entlassung schwang sich Petersen zum Anführer einer grofferen Aktionsgemeinschaft auf, „Barmbecker Einbrechergesellschaft“ oder“Petersen-Konzern“genannt. Insgesamt gehörten siebzig teils fester, teils loser mit Petersen verbundene Männer dazu. Ein Großteil war in Barmbek zu Hause, und die“Gesellschaft“ hatte zwei ihrer wichtigsten Treffpunkte in Barmbek. Nach einer erneuten Freiheitsstrafe 1919/20 setzte Petersen zu einem aufsehenerregenden, wenn auch kurzen Höhenflug an. Bis Mitte ’21 erbeutete er mit seinen Leuten neben wertvollem Gut rund 800.000 Mark Bargeld. Im Juni ’21 kam Petersen für lange Zeit hinter Schloss und Riegel. Die Sonderkommission der Polizei verfügte über keine Geständnisse, verstand es aber, die gleichzeitig verhafteten „Gesellschaftsmitglieder“ – samt Chef – gegeneinander auszuspielen und einem nach dem Geständnisse zu entlocken.
Barmbeker Unterwelt
Trotz großer Beute lebten Petersen und seine engsten Kumpane während ihrer Erfolgsjahre keineswegs in Saus und Braus. Aber großzügiger war ihr Lebensstil schon, als ein legaler Broterwerb ihresgleichen ermöglicht hätte. Die meisten legten Wert auf gepflegte Kleidung, und ganz besonders tat das Petersen selbst. Auch daher rührt sein „Ehrentitel“. Petersen und der engere Kreis arbeiteten nicht nur gemeinsam, sondern hatten auch familiären Umgang miteinander: eine Subkultur im Kleinen. In mancher Hinsicht unterschieden sich ihre Umgangsformen und Schicklichkeitsbegriffe überraschenderweise gar nicht allzusehr von denen der bürgerlichen Gesellschaft. Ob Petersen und die Seinen sich wie Fische im Wasser in einem weit mehr Menschen einschließenden Milieu bewegten, ob es in Barmbek größere Bevölkerungsteile mit einer Anfälligkeit für kriminelle Abwege gab, das ist sehr schwer zu beurteilen. Gewiss, im Krieg kam es 1916 und ’17 bei sogenannten Hungerunruhen in Barmbek zu Ladenplünderungen, und dann vielleicht noch einmal im Krisenjahr ’23, als die Geldentwertung viele Menschen in bitterste Not stürzte. Aber aus solchen Ausnahmesituationen können weitreichende Schlüsse kaum gezogen werden.
Dichtung und Wahrheit
Petersen war den anderen wohl weniger durch seine „handwerklichen“ Fertigkeiten überlegen als durch Umsicht, Mut und Weitblick. Mit Hilfe seines Bruders in Amerika z. B. bewerkstelligte er schon eine Geldwäsche. Seine Beuteanteile waren mit Abstand die höchsten, und er verwendete sein Geld für legale und halblegale Geschäfte. So kaufte er seiner Freundin eine Pension in den Colonnaden. Vielleicht stand er kurz davor, wohlversorgt in eine bürgerliche Existenz überzuwechseln. Petersens noch heute lebendiges populäres Image des edlen, robinhoodhaften Ganoven ist fern der Wirklichkeit. Weder mied er konsequent lebensgefährdende Gewaltanwendung, noch war er immer fair seinen Kumpanen gegenüber, noch war er ein Wohltäter der Armen. Auch in seinen 1927 geschriebenen Memoiren (veröffentlicht 1973) mischen sich Dichtung und Wahrheit. Obwohl der Text von Klischees des Kolportageromans nur so strotzt, ist ein gewisses erzählerisches Talent unverkennbar. 1932 kam Adolf Petersen wieder frei. 1933 abermals festgenommen, erhängte er sich am 22. November im Untersuchungsgefängnis. (Angelehnt an eine Anfang ’95 noch unveröffentlichte Untersuchung Patrick Wagners.)
Alte Barmbeker sagen häufig: Was die Fuhlsbüttler Straße heute ist, als Barmbeks Einkaufsstraße, war die Hamburger Stra9e damals, vor dem Krieg. Mit nackten Zahlen lässt sich diese Aussage nicht ohne weiteres erhärten. In der Hamburger Straße gab es 1938 rund 290 Läden (plus Gastwirtschaften). In der Fuhlsbüttler Straße zwischen Pestalozzi- und Dennerstraße (gleich der Länge der Hamburger Straße) waren es rund 240. Kein großer Abstand!
Auffällig ist allerdings die erheblich höhere Zahl von Möbelgeschäften, Gastwirtschaften sowie Bank- und Sparkassenfilialen in der Hamburger Straße. Andrerseits erreichten die Lebensmittelgeschäfte in der Fuhlsbüttler Straße einen Anteil von ca. 37 Prozent, in der Hamburger Straße nur einen Anteil von ca. 27 Prozent. Geldangelegenheiten erledigen, einkehren, Anschaffungen „fürs Leben“ machen, das alles konnte man also besser in der Hamburger Straße.
Das Angebot in der Fuhlsbüttler Straße konnte mehr der Versorgung mit Gütern des Alltagsbedarfs entgegengekommen sein. Käufer und Schaulustige wurden zudem natürlich durch die drei Kaufhäuser in der Hamburger Straße angezogen (Karstadt, „Niederelbische“ (ab ’36, vorher „PRO“) und Toedt — Woolworth um die Ecke in der Bartholomäusstraße nicht mitgerechnet).
Nicht zu unterschätzen ist schließlich die Wirkung der Tradition: die Hamburger Straße war 1938 schon seit bald fünfzig Jahren „eine Einkaufsstraße, die Fuhlsbüttler Straße gerade einmal seit einem Dut-zend Jahren. – So lassen sich wohl die Eindrücke erklären, die kurzerhand im Begriff „die Einkaufsstraße“ zusammengefasst werden.
Karrenmarkt in Barmbek
Seit 1911 die Märkte vom Meßberg und vom Hopfenmarkt beim Deichtor zusammengelegt waren, hatte Hamburg nur noch diesen einen Wochenmarkt, der hauptsächlich Großmarkt war. Aber schon in den 1890er Jahren war der Karrenhandel in Hamburg stark verbreitet: Ambulante Kleinhändler verkauften ihre Ware von den Karren herunter, die meist mit Menschenkraft bewegt wurden. Im August 1894 beklagten sich zwei Uhlenhorster: „Gegen Abend in der Herderstraße standen nicht weniger als zehn Karrenhändler fast alle auf einem Haufen und riefen ihr Waren dort aus. Infolgedessen hatte sich eine Unmenge Kinder angesammelt, so dass man annehmen konnte, es finde Markt statt. Bei diesem immerwährenden Ausschreien konnte man verrückt werden, namentlich in den Terrassen. Kaum ist der eine raus, fängt der andere an … die reine Landplage.“
Wahrscheinlich schon vor dem Ersten Weltkrieg, spätestens aber in den 20er Jahren war der sogenannte Barmbeker Ring zu einer Institution geworden. Das war eine lange Reihe von Karren (angeblich an die dreihundert), die jeden Werktag um das Karree Wohldorfer Straße, Hamburger Straße, Volksdorfer Straße, Vogelweide herum standen. Für bestimmte Branchen des Ladenhandels – zumal Obst und Gemüse – bedeutete der Karrenmarkt natürlich eine harte Konkurrenz.
Von der Hand in den Mund
Das Warenangebot in der Hamburger Straße war vielfältig und sicher auch verlockend. Aber wer von der Hand in den Mund lebte, konnte meist nur das Nötigste kaufen und manchmal selbst das nicht. In Barmbek-Süd wohnten arme Leute. Nehmen wir das Jahr 1910: Da lag Barmbek (und das war bevölkerungsmäßig der Süden) mit seinem Pro-Kopf-Einkommen unter allen Hamburger Stadtteilen an vorletzter Stelle (nur noch gefolgt vom Billwerder Ausschlag). Die Harvestehuder hatten den fast neunmal so hohen Spitzenwert, das verdeutlicht die gesellschaftliche Kluft.
Die Not der Haushaltsführung unter solch dürftigen Umständen drückte natürlich vor allem die Frauen. Sie mussten mit dem wenigen Geld so einzukaufen versuchen, dass die Familie satt wurde. Sie mussten immerfort „knapsen“ und oft genug bei den Kaufleuten anschreiben lassen, bisweilen vielleicht ohne zu wissen, wann die Schuld beglichen werden konnte.
Die Bürde der Frauen
Was verlangte der Haushalt den Barmbekerinnen ab, in der Zwischenkriegszeit und erst recht in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg? Die Familien waren größer als heute, elektrische Geräte und Zentralheizung waren nicht bzw. fast nicht vorhanden, gekocht wurde meist bzw. oft noch auf dem Herdfeuer, Kleidungsstücke wurden – wieder und wieder – geflickt und gestopft. (Soviel nur, um die Phantasie der Leser anzuregen.) Gleichwohl mussten viele Frauen außerdem noch einer Lohnarbeit nachgehen. Im Jahr 1910 z.B. waren 25 Prozent aller Erwerbstätigen in Barmbek Frauen. Dabei sind Gelegenheitsarbeiten nicht berücksichtigt, somit zum Teil auch nicht die schlechtbezahlte Heimarbeit, wie sie beispielsweise manche Barmbekerinnen für die Bürstenmacherei Schröder (gegründet 1866) verrichteten. (Da wurden die paar „Mußestunden“ nach dem Abendbrot mit Borsteneinziehen ausgefüllt.)
Als Menschen wegsaniert werden sollten
Dass große Gebiete Barmbek-Süds baulich saniert wurden, war durch den Bombenkrieg erzwungen. Zuvor schon war in der NS-Zeit empfohlen worden, das ganze Quartier zwischen Winterhuder Weg und Weidestraße zu sanieren. Auf perverse Weise freilich, wie nationalsozialistische Ideologie es verlangte. Nicht beengende, ungesunde Baukörper sollten saniert werden, sondern für „krank“ gehaltene Teile des „Gesellschaftskörpers“ sollten wegsaniert werden.
A. Walther, ein Soziologe der Hamburger Universität, wollte unter „wissenschaftlichen“ Gesichtspunkten die „gemeinschädlichsten“ und deshalb vordringlich sanierungsbedürftigen Hamburger Stadtgebiete bestimmen. Hervorstechend gute Wahlergebnisse von SPD und KPD nahm Walther als ersten Verdachtsgrund. Zu finden gedachte er eine „Zusammenhäufung von politisch destruktiver Haltung, jugendlicher Gefährdung, hoffnungsloser Lebensuntüchtigkeit, intellektueller und psychopathischer Minderwertigkeit und vielen Arten asozialen und kriminellen Verhaltens.“
1934/35 untersuchte eine Projektgruppe, die aus arbeitslosen Akademikern gebildet worden war, ausgewählte Gebiete. Finanziert war das Projekt, das von Walther und zwei anderen Fachleuten geleitet wurde, als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (‚“Notarbeit 51“). Auch das Quartier zwischen Hamburger Strafße und Herderstraße, Winterhuder Weg und Weidestraße war Gegenstand der Studie. Der „Gemeinschädlichkeitskern“ wurde um Humboldt- und Bachstraße ausgemacht.
Tod im Schutzraum
Der Luftangriff in der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1943 verwüstete Barmbek wie kein anderer davor und danach. Auch das Karstadt-Gebäude stürzte in sich zusammen. Viele Menschen hatten in den beiden Kellern Zuflucht gesucht. Aus dem sogenannten Personalbunker wurden etwa 1.200 Menschen gerettet. Die im sogenannten öffentlichen Luftschutzraum Verschütteten starben, und zwar an Kohlenoxydvergiftung, verursacht durch einen brennenden Koksvorrat. Etwa 370 Leichen wurden aus dem Keller geborgen (viele nicht identifizierbar). Das war etwa ein Drittel der Todesopfer, die bei den Julibombardements in ganz Barmbek zu beklagen waren.
Wie eine riesige Kulisse
Die stehengebliebene Rückwand des Karstadtgebäudes war eine der markantesten Ruinen in Hamburg. Manche sahen in ihr wohl ein Wahrzeichen der Zermalmung. Dem Maler und Grafiker Alexander Friedrich erschien sie wie eine riesige Theaterkulisse: „Von den vier Wänden des stadtübergipfelnden Hauses steht nur die Rückwand, nicht Dach, nicht Zwischengeschoß; nicht ein Schein der verschwundenen anderen drei Betonwände ist zu erblicken! … Das Gerücht über diesen Karstadtkeller in Barmbek und die Zahl der darin umgekommenen Menschen geistert in der Stadt, eine ungriffig schillernde Chimäre. … Die Fahrstuhlschächte mit ihren mancherlei Eisendrahtzügen und die quadratischen Einteilungen von Nebenräumen wurden nur flüchtig angedeutet. Es ist das alles etwas verzeichnet und absichtlich ungeschickt gemalt, aber man erkennt doch, was der Theatermaler gemeint hat, und man bewundert die ungeheuren Ausmaße des Bühnenraumes.“ (Geschrieben 1943.)
Ein Wohlfahrtsunterstützte im Jahr 1932
Erst nach dem Ende des Kaiserreichs wurde eine gesetzliche Arbeitslosenunterstützung und -versicherung eingeführt. Zuvor war Arbeitslosigkeit eine immer gefürchtete Existenzbedrohung (im buchstäblichen Sinne). Aber auch nach dem Weltkrieg in den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit Anfang der 20er und Anfang der 30er Jahre kamen die Menschen in Not, trotz aller Vorkehrungen von Staat und Gemeinden. Die Hilfsmittel der öffentlichen Hand waren in heute kaum vorstellbarem Grade erschöpft, und die Not der Arbeitslosen war weitaus krasser als heute.
Von seiner Wohlfahrtsunterstützung (gleich heutiger Sozialhilfe) konnte sich März 1932 ein alleinstehender Erwerbsloser in Hamburg, z. B. an Lebensmitteln kaufen: pro Woche 3 kg Brot, 5 kg Kartoffeln, 1/2 kg Margarine, 1/2 kg Fleisch, Fleischwaren oder Fisch, 750 g Reis, Mehl o. Hülsenfriichte, 250 g Zucker, 250 g Kornkaffee und 1 Liter Milch. Dann blieben 5 Mark für die Miete (was nur im Glücksfall für eine Wohnung reichte), 50 Pfennig für Kochgas, Feuerung und Licht (viel zu knapp), 1 Mark schließlich für alles übrige (Anschaffungen, Bahnfahrten, Briefmarken usw. – ein Witz).
Wie nehmen Sie den Bahnhof wahr? Als Fahrgastumschlagplatz, gesichtslos? In den ersten zehn Jahren hatte er ein stattliches Eingangsgebäude wie manch andere S- und Hochbahnhöfe. Als er nach der Jahrhundertwende gebaut wurde, war Barmbek-Nord noch kaum erschlossen. Schon nach 20 Jahren erlangte er eine Bedeutung als Verkehrsknotenpunkt, die mit seiner heutigen vergleichbar ist. Die Entwicklung Barmbeks zum Wohn- und Industriegebiet war mit der Schaffung von Verkehrsanschlüssen verbunden, die den Ort näher an die Stadt Hamburg rückten. Zunächst fanden viele Barmbeker und Barmbekerinnen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Arbeit (z.B. bei Calmon/Tretorn, Conrad Scholtz, der „New-York Hamburger“, dem Gaswerk). Doch wuchs die Zahl derjenigen, die weit entfernt von ihren Arbeitsplätzen wohnten, so dass sie lange Strecken zu Fuß zur Arbeit gehen mussten, solange bezahlbare Nahverkehrsmittel fehlten.
Pferdebus und Pferdebahn
Die Verkehrsanbindung begann mit dem Pferdeomnibus. Vom Frühjahr 1841 an betrieb das Fuhrunternehmen F.E. Schultz & Kroger eine Linie vom Speersort zum Barmbeker Markt (beim heutigen Bahnhof Dehnhaide). Maximal 16 Personen konnten mit dem Pferdeomnibus befördert werden. Die relativ hohen Fahrpreise und die spärliche Besiedlung Barmbeks machten es zunächst schwer, die Wagen zu füllen und das Geschäft rentabel zu betreiben. In den Anfangsjahren gab es daher nur wenige Fahrten täglich. Seit 1860 verkehrte der Bus aufgrund des starken Ausflugsverkehrs an Sonntagen stündlich (später auch werktags). Die Beförderungsplätze, die ein Pferdeomnibus bot, konnten nicht beliebig vermehrt werden. Der Pferdeomnibus wurde daher bald von der Pferdebahn abgelöst, deren Wagen auf Schienen liefen, wodurch sich erheblich höhere Gewichte von Pferden ziehen ließen. Ab Juni 1867 verkehrte die Barmbeker Bahn zwischen Rathausmarkt und „Zoll“ (bei der Brücke Bramfelder Straße) zweimal stündlich.
Straßenbahn und Stadtbahn
Auch die Pferdebahn konnte den ständig wachsenden Verkehrserfordernissen nicht nach- kommen. 1886 überstieg die Zahl der mit der Barmbeker Pferdebahn jährlich beförderten Personen die Millionengrenze. 1895 wurde die Barmbeker Linie (St. Pauli – Barmbek Zoll) auf elektrischen Betrieb umgestellt. In den folgenden Jahren wurde das Straßenbahnnetz in Barmbek weiter ausgebaut. In der Hamburger Stral3e fuhren Anfang des Jahrhunderts (1904) fünf Straßenbahnlinien, alle zwei Minuten kam eine Bahn. Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges fuhren nach Barmbek und Uhlenhorst zehn Straßenbahnlinien, in der Regel jede im 10-Minuten-Takt. Die Pferdebahn und zunächst auch die Straßenbahn waren damals jedoch noch keine Massenverkehrsmittel im heutigen Sinne. Nur Verdiener mittlerer und höherer Einkommen konnten sich die regelmäßige Benutzung der Bahn leisten, die Mehrzahl der Arbeiter/innen nicht. Der Preis für eine Pferdebahnfahrt lag bei mehr als einem Zehntel des durchschnittlichen Tageslohns eines Arbeiters. Viele, die in den Vororten wie Barmbek wohnten und in der Innenstadt oder im Hafen arbeiteten, mussten „gut zu Fuß“ sein. Mit Vorortbahn und Hochbahn hofften die politisch Verantwortlichen in der Stadt endlich effiziente Nahverkehrsanbindungen für die Werktätigen zu erstellen. Nebenbei hofften sie damit auch etwas zur sozialen Befriedung beizutragen. Der Bahnhof Barmbek wurde gleich als Umsteigestation der Vorortbahn (später Stadtbahn genannt) und der Hochbahn gebaut. 1906 wurde die Vorortbahnstrecke Blankenese – Ohlsdorf in Betrieb genommen. Zunächst verkehrten nur Dampfzüge, ab 1907/08 fuhr die Bahn im elektrischen Betrieb mit Oberleitung im 5-Minuten-Takt.
Hochbahnring und Walddörferbahn
Parallel zum Bau der Stadt- und Vorortbahn wurde der Bau der Hochbahn (heutige U-Bahn) mit einer Ringstrecke und den Zweiglinien nach Ohlsdorf, Eimsbüttel und Rothenburgsort in An- griff genommen. Nach der festlichen Eröffnung gab es zwei Wochen lang Freifahrten, um das Publikum von den Vorzügen der „neumodischen“ Bahn zu überzeugen. Der reguläre Betrieb der Ringzüge, die tagsüber im 5-Minuten-Takt und sonst alle 10 Minuten verkehrten, wurde von der „Hamburger Hochbahn Aktiengesellschaft“ (HHA) im März 1912 aufgenommen. Eine Fahrt bis zur fünften Haltestelle kostete zehn Pfennig. Die Hamburger fuhren damals 2. und 3. Klasse (2. Klasse: gepolstert, rote Wagen, 3. Klasse: Holzbänke, gelbe Wagen). Nach harten Auseinandersetzungen wurde 1919/20 das Zwei-Klassen- System aufgehoben. Um eine direkte Verkehrsverbindung zwischen der Stadt und dem Hamburger Umland im Nordosten, insbesondere den Walddörfern, herzustellen, wurde eine weitere von Barmbek ausgehende Bahnlinie geplant. Durch den Weltkrieg verzögert, war erst 1919 Betriebsbeginn, zunächst mit Dampfloks. Um Raum für die neue Strecke zu schaffen, war das Eingangsgebäude des Barmbeker Bahnhofs bereits 1916 abgerissen worden.
Wiederaufbau und Veränderung des Nahverkehrssystems
Die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg, namentlich im Sommer 1943, hatten dem Hamburger Nahverkehrsnetz schwere Schäden zugefügt. Die meisten Barmbeker Straßenbahnlinien konnten jahrelang nicht befahren werden. Auch der Hochbahnverkehr war lange unterbrochen. Erst 1950 wurde der Ring wieder geschlossen. Wie Barmbek in den 50er Jahren als Wohnstadt wiedererstand, so wurde auch sein Nahverkehrsnetz wieder zu alter Leistungsfähigkeit gebracht. In den 60er Jahren dann eine Neuerung: Die Straßenbahnen wurden in Hamburg durch Busse ersetzt. Als letzte Barmbeker Linien wurden im Mai 1965 die 6 und die 9 stillgelegt. Die im selben Jahr fertig gewordene „Omnibus-Umsteige-Anlage“ Barmbek war eine Konsequenz der Umstellung. Der Barmbeker Bahnhof bekam einen neuen Ausgang. 1986 modernisierten Hochbahn und Bundesbahn die westliche Eingangshalle. Schalter und Sperren verschwanden, neue Läden und Stände wurden eingerichtet.
Dorothea und Adolphine Keitel begründeten per Testament 1901 die Stiftung, die 1905 das Gebäude hier errichten ließ. Das Grundstück, einen ehemaligen Katnerhof, stellte die Stadt zur Verfügung. Die 50 mietfreien Wohnungen waren „armen, unbescholtenen, mindestens 45 Jahre alten Mädchen“ aus dem „Handwerker- und Dienstbotenstande“ vorbehalten. Die Aufnahmebedingungen wurden später gelockert. Nach der gültigen Satzung sollen „vorwiegend Frauen und Witwen“ als Mieter aufgenommen werden. Ein §5-Schein jedenfalls ist Voraussetzung.
Manche Barmbeker empfanden das Äußere, gemessen an der Umgebung, wohl als pompös. Daher die Bezeichnung „Schloss von Barmbek“. Der Turm ist heute verkürzt, einige Balkonbrüstungen sind „zugemauert“: Kriegsfolgen. Das Dachgeschoss ist 1953 ausgebaut worden. Abriss und Neubau wurden erwogen, bevor 1977 Wohnungen zusammengelegt und Küchen und Duschbäder eingebaut wurden. Wie die Mehrzahl öffentlicher und genossenschaftlicher Bauten hat das Keitelstift die Bombardierungen besser als durchschnittliche Mietshäuser überstanden. Es lag auch an der solideren Bauweise.
Die kleinen Häuser auf der anderen Straßenseite sind Zeugen der frühen Verstädterungsphase Barmbeks. Sie sind 1885/86 gebaut, wahrscheinlich alle vom Barmbeker Maurermeister Grupe (siehe Stellbergterrain). Durch Bombenschaden und Wiederaufbau sind sie mehr oder weniger verunstaltet. Die meisten kehrten der Straße einen Giebel zu. Nur bei der Nummer 55 sind davon im Jahr 2003 noch Umrisse zu erkennen. Die Häuschen gehörten z. T. Handwerksmeistern. So die Nummer 55 seit 1920 dem Schuhmacher Ude (gestorben 1986). Ude war ein Stadtteiloriginal und rühmte sich, Hamburgs ältester praktizierender Handwerksmeister zu sein.
Wären Hamburger in den 20er Jahren gefragt worden, welcher Ausdruck ihnen zu Barmbek einfalle, hatten die meisten sicher geantwortet: „basch“. „Barmbeck basch“ war ein geläufiger Begriff schon seit dem vorigen Jahrhundert. Auf Mittelniederdeutsch bedeutet „basch’’ in etwa stark, scharf, kräftig von Geschmack; übertragen: eifrig, heftig, trotzig, stolz. – Was von Nicht-Barmbekern als Schimpf gemeint war, deuteten die Barmbeker ins Positive um: Für sie hieß „basch“ auch forsch, kess, gewitzt. Er stempelte Barmbek zum unfeinen, zum Unterschichtviertel. Aber oft schwang doch wohl die Vorstellung mit, dass dort Leute wohnten, die „sich nicht unterkriegen“ ließen. – Bedeutete „Barmbeck basch“ etwas Ähnliches wie im alten Berlin „Zilles Milljoh?“ Vielleicht, ja.
Wohnverhältnisse
Die Wohnverhältnisse in Barmbek-Süd ließen vom Beginn der Verstädterung bis zur Zerbombung ’43 viel zu wünschen übrig. Weithin mangelte es an Grundqualitäten, die von Wohnreformern schon vor dem Ersten Weltkrieg gefordert wurden und dann in den Neubauten der 20er Jahre – in Barmbek-Nord und Dulsberg z. B. – Standard wurden. Der freie Zutritt von Licht und Luft wurde durch die dichte Bebauung behindert, in den 20er Jahren dagegen durch Zeilenbauweise oder reine Randbebauung der Karrees gewährleistet. Ein anderer Punkt: die „Querlüftung‘, die Durchlüftung der Wohnungen von vorn nach hinten. Sie war oft nicht möglich, weil drei oder vier Wohnungen auf einem Stockwerk lagen. (Freilich gab es Viertel in Hamburg, wo die Verhältnisse noch schlechter waren. Der Anteil der Hinterhauswohnungen – wenn auch kein eindeutiges Gütemerkmal – war z. B. in einigen Stadtteilen etwa doppelt so hoch; in Barmbek lag er 1910 bei 15 Prozent.)
Gaststätten
Seit der frühen Bebauung gab es Gaststätten entlang der Hamburger Strafße. Bis Anfang der 1890er Jahre hatten einige den Charakter von Ausflugslokalen. In den folgenden Jahrzehnten kamen sogenannte Gesellschaftshäuser einem Bedürfnis der Stadtteilbewohnerschaft entgegen. Ihr großer Saal konnte für ganz verschiedenartige Veranstaltungen genutzt werden, vom Tanzvergnügen über politische Versammlungen bis zu Turnübungen. In der Hamburger Straße bestanden wenigstens zwei dieser Gesellschaftshäuser, sie verschwanden in der Zwischenkriegszeit. Das am Markt Ecke Stückenstralle Anfang der 1870er Jahre gegründete „Barmbeker Gesellschaftshaus‘ (auch dem Namen nach erstes am Platze) erhielt sich – später als Café Classen – bis zur Zerbombung 1943. Dem Zeitgeschmack in den 30er Jahren entsprachen vor allem die Tanzcafés (mit Live-Musik), am Markt bei der Dehnhaide z. B. das Café Columbus und in der Fuhlsbüttler Straße beim Wiesendamm das Café König.
Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl war die Zahl der Gaststätten in Barmbek um die Jahrhundertwende gar nicht so sehr groß. Von insgesamt rund 180 im Jahr 1906 kam eine auf rund 400 Einwohner. (In Berlin war es 1898 eine auf 135 Einwohner.) Die allermeisten dieser Gaststätten waren natürlich einfache Kneipen: für die Arbeiter damals unentbehrliche Orte der Begegnung, des Gesprächs, des Meinungsaustauschs, und zwar gerade auch des politischen Meinungsaustauschs. In den kleinen, überbelegten Wohnungen konnten sie nicht zusammensitzen. Nicht wenige Kneipen waren auch Versammlungslokale und Beitragszahlstellen für die örtlichen Mitgliedergruppen der SPD. Ihrer politischen Funktion wegen wurden Hamburger Kneipen zum „Arbeitsfeld’ der sogenannten Vigilanzbeamten. (Vigilanz = Wachsamkeit, Überwachung.)
Die „Vigilanz“ der Hamburger Polizei
Nach der Cholera 1892 begann die politische Abteilung der Hamburger Polizei auszukundschaften, was das Volk wohl „Unrechtes“ denke. (In gleicher Absicht wie die Stasi, nur mit weit geringerem Aufwand.) Zuvor waren nur öffentliche Versammlungen beobachtet worden. Die bei der Epidemie zutage getretenen Versäumnisse und Missstände der Hamburger Verwaltung einerseits und die (zumindest zahlenmäßige) Stärke der hiesigen Sozialdemokratie anderseits: das waren gewichtige Gründe für die Regierenden der Stadt, Unruhen und „Umtriebe“ zu fürchten, ja in letzter Konsequenz einen Umsturz der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Die Vigilanz sollte verborgene Gefahren erkennen helfen. Gewöhnlich war nur eine Handvoll Polizisten im Einsatz. In sechzehn ausgewählten Stadtbezirken mischten sie sich als Arbeiter verkleidet unter die Leute, um die Stimmung zu erkunden und Hin-weise auf etwaige „Machenschaften“ aufzuspüren. Mit Vorliebe suchten sie Kneipen auf. Was sie Erwähnenswertes gehört hatten, schrieben sie dann in ihre Berichte. (Heute sind sie eine Fundgrube für Historiker, die die Auffassungen und Lebensumstände der Arbeiterschaft erforschen wollen. Auch für Barmbekforscher sind sie ergiebig, denn das Gebiet um die Hamburger Straße war einer der sechzehn Bezirke. Eine Auswahl der Berichte ist unter dem Titel „Kneipengespräche im Kaiserreich“ 1989 als Taschenbuch erschienen. Verwertbare Schlüsse wurden aus all den Berichten nicht gezogen. Deshalb wurde die regelmäßige Spitzelei ab 1905 vernachlässigt und 1910 eingestellt.
Das 1994 eröffnete Hauptfilialhaus der Haspa wurde von B. Tonon entworfen. Zusammen mit Th. Brenner hat Tonon auch das 1987 fertiggestellte Eckgebäude am Suhrsweg geplant. Im Gegensatz zu den „Backsteintapeten“ vieler Gebäude aus den 1980er und 1990er Jahren ist der Backstein in diesen beiden Fällen „Bauweise“ geworden, das heißt stilprägend im Sinne von Fritz Schumacher. Barmbeks Stadtbild wurde so um zwei markante Bauwerke bereichert worden. Die weithin sichtbare Glasfront öffnet den Baukörper wie ein Schnitt und kontrastiert mit seiner steinernen Massigkeit. Der in Stufen ansteigende hintere Teil und der mit geschwungenen Flanken sich breit machende vordere Teil scheinen gegeneinander zu drängen. Anders der Bau am Suhrsweg, an dem vor allem gerahmt wird, wie er sich einerseits den Backsteinfronten aus den 1920ern, anderseits der etwa ebenso alten Putzfront angleicht. Bemerkenswerter noch scheint uns, wie er die Verbindung schafft: mit beschwingt-großzügiger „Geste“. Ein Wort noch zum Stein. Hier hat er etwas Traditionelles, Handgemachtes, dort ist er von quasi kunstgewerblicher Feinheit, gepaart mit betontem Fugenmuster. Auch nachdem die an den Haspa-Bau in Fuhlsbüttlerstraße und Hufnerstraße anschließenden Lücken mit Etagenhäusern gefüllt sind, sind die Kriegsfolgen im nahen Umkreis noch immer nicht ganz getilgt. Das wird deutlich sichtbar an der Ecke Fuhlsbüttlerstraße und Hellbrookstraße mit ihrer provisorischen Bebauung. An der Ecke Hufnerstraße wurde anstelle des zerstörten Etagenhauses das Roxy-Kino errichtet, in dem jetzt ein Aldi-Markt eingerichtet ist. Eine höhere Bebauung wird kommen.
Der sogenannte Stellberg war eine kleine Erhebung samt Windmühle bei der heutigen Kreuzung Fuhlsbüttlerstraße und Drosselstraße. Nach ihm wurde in den 1890er Jahren die Flache zwischen Fuhlsbüttlerstraße und Steilshooper Straße, Pestalozzistraße und Hellbrookstraße benannt. Schmale Felder erstreckten sich hier in nördlicher Richtung. Einige gehörten noch Bauernfamilien. Nur an der Steilshooper Straße stand schon eine Reihe kleiner Häuser, die der Maurermeister Grupe gebaut hatte (siehe Langer Jammer). Für die Erschließung als Bauland war diese Streifenstruktur denkbar ungeeignet. Durch ein Zusammenlegen und Neuaufteilen der Grundstücke wäre das zu andern gewesen. Einerseits war die Zeit vorbei, in der Private drauflos planen konnten. Anderseits wurde jetzt der Bebauungsplan für Barmbek vorbereitet, so dass die Umlegung samt Erschließung mit der Stadt ausgehandelt werden konnte. Die Grundeigentümer traten als „Interessenschaft“ auf. Ihr Wunsch wurde der Stadt 1895 ausgerechnet vom Eigentümer des kleinsten Grundstücks vorgetragen, über das aber ohne Eingriff in Bausubstanz die Drosselstraße geführt werden konnte. 1898 wurden die Verträge mit der Stadt geschlossen. Sie betrafen insbesondere die Ver- und Entsorgungsanschlüsse und die Wegpflege. Nun wurden die Straßen angelegt: Drosselstraße, Stellbergstraße und Schwalbenstraße. Nach und nach wurden die neu zugeschnittenen Grundstücke parzelliert. Da die Kanalisation erst 1904 angelegt wurde, durfte zunächst nur niedrig gebaut werden. Ab 1900 bauten nicht mehr die anfänglichen Grundeigentümer, sondern Bauunternehmer. Sie bauten reihenweise und im gleichen Muster Häuschen, die nach Fertigstellung verkauft wurden. Endeigentümer waren zum Beispiel Handwerksmeister oder Beamte.
An der Ecke gegenüber (Habichtstraße 62) stand bis 2008 ein Überbleibsel des Habichthofs. Es war das Hochparterre des bombengeschädigten Wohnhauses. Heute steht dort das B&B Hotel. 1890 hatte die Bauernfamilie Dreckmann ihren Hof vom Dorfplatz in der Hufnerstraße hierher ins offene Gelände verlegt. Nur 32 Jahre später musste sie die Landwirtschaft in Barmbek einstellen, weil die Verstädterung sie eingeholt hatte und ihr in der Notzeit nach dem Krieg die Feldfrüchte vom Acker weg gestohlen wurden. 1890 bauten die Dreckmanns kein Bauernhaus mehr, sondern neben Wirtschaftsgebäuden ein villenartiges Wohnhaus. Darin manifestierten sich gewachsener Wohlstand und ein anderes Lebensgefühl. Die Dreckmanns festigten ihren Wohlstand. Sie verkauften nicht wie die andern Bauernfamilien fast alles Land an Private oder die Stadt. Sie errichteten selber Mietshäuser auf vielen ihrer über die einstige Dorfmark verstreuten Grundstücke. Fünf der Kinder des letzten Bauern bewirtschafteten später eigene Höfe. 2005 brachte die Geschichtswerkstadt Barmbek das Büchlein Leben auf dem Habichthof heraus.
Der alte „Vorbau“ der Techniker Krankenkasse hier ist das unter Denkmalschutz stehende frühere Entree der Margarinefabrik Voss. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts (mit Erfindung der Fetthartung 1902) fand Margarine als Butterersatz rasch wachsenden Absatz. Voss, 1904 in der Humboldtstraße gegründet, verlagerte den Betrieb 1909 an die Bramfelder Straße.1925/26 Erweiterung. 1943 brannten die meisten Gebäude aus. Bis 1952 war der Wiederaufbau vollendet. 1978/79 wurde der Betrieb eingestellt. Viele erinnern sich noch an die Voss-Tierbilder, die in Alben geklebt werden konnten. Der Voss-Überrest, dessen Erhalt ein Kompromiss war, weist in sich eine Stildissonanz auf. Der eigentliche Eingangsbau mit seinen „expressionistischen“, das heißt kantigen und spitzigen Formen, stammt aus den 1920er Jahren. Die zinnenbesetzten Mauern dahinter gehörten zur alten Fabrik.
Hinter der Margarinefabrik, am Bach Seebek, stand von 1903 bis zur Zerbombung 1943 der neue Hamburger Schützenhof. In Barmbek Süd erinnert ein Straßennahme an dessen Lage. Heute befindet sich dort die Schiffbauversuchsanstalt.
Die Bebauung am Habichtsweg mit ihren Putzfassaden ist untypisch für das Barmbek-Nord der „Schumacher- Ära“. Es waren die Backsteinblocks, die dem Stadtteil sein Gesicht gaben. Die Backsteinhaut trug wesentlich zu der gleichmäßigen Gesamtwirkung bei, die die Hamburger Wohnquartiere aus den 20er Jahren kennzeichnet. So großräumig-einheitliche Viertel wurden damals in keiner anderen deutschen Stadt gebaut.
Die ästhetische Funktion des Backsteins
Seit Schumacher nach Hamburg gekommen war, hatte er eine Vorliebe für Backsteinbau. Im Backstein glaubte er norddeutsche Bautradition mit Modernität versöhnen zu können. Solch ein Ausgleich schien ihm erstrebenswert. Gleich in den ersten Hamburger Jahren ließ er alle Stadtpark-Bauwerke in Backstein ausführen. In den 20er Jahren kam Schumachers Vorliebe für den Backstein in den neu entstehenden Wohnvierteln voll zur Geltung. Nun schrieb er dem Backstein vor allem eine vereinheitlichende Kraft zu, Zitat: „Es liegt eben im Wesen einer gesunden Behandlung des Backsteins, dass er aus sich selbst heraus zu verwandtem Ausdruck führt, mit anderen Worten, dass er nicht nur äußerlich verbindendes Baumaterial bleibt, sondern unwillkürlich eine verbindende Bauweise wird.“ Daneben blieb ihm die ausgleichende Wirkung nach wie vor wichtig, Zitat „Er dämpft alle neuartigen Wirkungen durch einen leisen Einschlag von Überlieferung, der sich aus dem Wesen seiner Struktur ergibt.“ Schumacher hat sicher recht mit seiner Behauptung, manche Hamburger Backsteinblocks würden mit Putzfassaden wesentlich moderner (im damaligen Sinne) wirken. Schumacher plädierte und warb für die Backsteinverkleidung, aber er brauchte sie in der Regel gar nicht vorzuschreiben, weil die führenden Hamburger Architekten, die in den neu entstehenden Vierteln bauten, in der Mehrzahl den Backstein genauso schätzten wie er selber. Die Backsteinfassaden der 20er Jahre unterscheiden sich sehr von den Backsteinfassaden der Nachkriegsjahrzehnte. Nach dem Kriege: ein Stein wie der andere, die Wände wirken tot. In den 20ern: Steine mit unzähligen Unregelmäßigkeiten, in der Form, in der Farbe (zwischen rot und bläulich changierend), in der Oberflächenbeschaffenheit (rau/glatt, stumpf/anglasiert) – die Wände haben Leben, selbst ohne dekorative Elemente. Schumacher bemühte sich selber darum, dass solche „unregelmäßigen“ Steine produziert und verwendet wurden.
Heute werden Fassaden wieder öfter mit unregelmäßigen Backsteinen verkleidet, so zum Beispiel am Haus der Haspa Ecke Hufner-/Fuhlsbüttler Straße. Wirkungsvoll belebt wurden die meisten Fassaden zudem durch die Sprossenfenster. Leider hat man sie in den Nachkriegsjahrzehnten nicht selten entfernt. Schumacher versprach sich von der planvoll-vereinheitlichenden Gestaltung ganzer Quartiere eine heilsame Gemütswirkung: „Wesentlich ist (auch) der Versuch, diesen neuen Bauquartieren eine gewisse äußere Harmonie zu geben. Für den gehetzten Menschen unserer Zeit dürfte auch darin ein Stück Hygiene liegen, Hygiene der Nerven.“ Heute wird die Einheitlichkeit der Backsteinquartiere unterschiedlich empfunden. Die einen empfinden sie in Schumachers Sinne als wohltuende Harmonie. Andere aber – gerade auch viele Jüngere – empfinden sie als monoton, trotz aller Abwechslung in den Blockformen und trotz aller Verlebendigung im Detail. Wer freilich den Backsteinfronten Putzfassaden aus der Kaiserzeit vorzieht, womöglich mit konfektionsmäßigem Palais-Zierrat, folgt einer auch recht anfechtbaren Geschmacksrichtung, bei der sicherlich Nostalgie im Spiel ist (meinen wir).
Schumachers Lenkungsinstrumente
Um den Backstein zum Standard zu machen, bedurfte es wohl keines Druckes. Ansonsten aber brauchte Schumacher eine Handhabe, um bei der Gestaltung eines neuen Viertels seine Vorstellungen annähernd zu verwirklichen. Die Beleihungskasse bot ihm die Handhabe. Faktisch war es wohl so, dass die Kasse Baudarlehen nicht ohne Schumachers Zustimmung zu den Entwürfen vergab. Das praktische Verfahren, mit dem sich Schumacher sein „Zustimmungsrecht“ zunutze machte, nannte er „modellmäßiges Bauen“. In Plastilinmodellen, die jeweils großen Ausschnitten eines Viertels entsprachen, ließ Schumacher darstellen, was er anstrebte. Die Modelle zeigten keine Einzelheiten, sondern nur die Formen der Blocks (der Baukörper). Wahrscheinlich wurde vor den Modellen mit den jeweiligen Bauherren und deren Architekten nach einvernehmlichen Lösungen gesucht. Erwogene oder diskutierte Varianten konnten sogleich versuchsweise einmodelliert werden, so dass die Auswirkung aufs Ensemble gemeinsam begutachtet werden konnte.
Dies Verfahren scheint höchsteffektiv gewesen zu sein und hat tatsächlich Viertel wie „aus einem Guß“ entstehen lassen. Funktionieren konnte das Verfahren allerdings auch nur, weil nicht mit einer Vielzahl „kleiner“ Bauherren zu verhandeln war, sondern mit relativ wenigen „großen“. Wie diese Grundbesitzstruktur (große Flächen in der Hand weniger Bauherren) sich zum Beispiel in Barmbek-Nord herausgebildet hat, wäre noch zu untersuchen. Jedenfalls dürfte sie auch Voraussetzung für die Abwandlung des alten Bebauungsplans gewesen sein. Auch diese musste in Verhandlungen mit den einzelnen Bauherren erreicht werden. Immer nach dem Prinzip: gleiche Grundstücksausnutzung bei verändertem Grundriss und geringerer Bauhöhe. Auch hierbei kann die Darlehensvergabe die Rolle eines möglichen Druckmittels gespielt haben, das die Bauherren einigungsbereiter machte. Es ist gut vorstellbar, dass Durchgestaltung der Quartiere und Umwandlung des Bebauungsplans ineinandergriffen, also bei jedem größeren Objekt in einem Zuge ausgehandelt wurden.
Auffällig sind an Karl Schneiders 1927/28 gebautem Doppelblock vor allem die gerundeten weißen Balkone zum Habichtsplatz hin. Zeitgenossen sahen in dem Block mit seiner fotogenen Ecke anscheinend ein markantvorbildliches Beispiel des modernen Wohnungsbaus in Hamburg. Wiederholt wurde Schneiders Bau in programmatischem Zusammenhang abgebildet. In Fachkreisen wurde der Doppelblock vor allem deshalb gelobt, weil Schneider auf ungünstig geschnittenem Grundstück eine phantasievolle und abwechslungsreiche Komposition der Baukörper geglückt war: mit unregeläßigen, zum „Angelpunkt“ hin offenen Höfen und betont symmetrisch gestaltetem „Tor-Vorhof“. Dass der Block von sozialdemokratischer Seite benutzt wurde, um die Wohnungsbaupolitik zu illustrieren, hatte noch einen zusätzlichen Grund. Bauherr war die Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg, auf die manche Sozialdemokraten und Gewerkschafter besondere Hoffnungen setzten.
Karl Schneider: Ein Meister der Moderne
Karl Schneider, 1892 in Mainz geboren, legte 1911 an der dortigen Kunstgewerbeschule sein Examen ab. Er arbeitete danach bei verschiedenen Architekten, eine Zeitlang auch bei Gropius in Berlin. 1920 heiratete er, zog nach Hamburg und richtete sich hier ein eigenes Büro ein. Bis Ende der 20er Jahre baute er viele Gebäude unterschiedlicher Zweckbestimmung (hauptsächlich in Hamburg), die ihm internationales Ansehen eintrugen. 1926 gewann er den Wettbewerb für die Jarrestadt und baute auch das zentrale Karree, musste allerdings eine Veränderung seines Entwurfs hinnehmen. 1930 wurde er Professor an der Landeskunstschule: bei dem jähen Rückgang der Bautätigkeit eine sehr erwünschte Existenzsicherung.
Als Exponent eines auffallend modernen (und internationalen) Stils hatte Schneider auch Gegner. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 betrieben die Nationalsozialisten erfolgreich seine Entlassung. 1938 wanderte Schneider in die USA aus, wo er als Industriedesi-gner arbeitete. Bauen durfte er nicht, weil er nicht in die US-amerikanische Standesorganisation aufgenommen war. Anfang 1945 endlich erlangte er die Zulassung als Architekt. Im August starb er. Erst Jahrzehnte später wurde Schneider die Anerkennung zuteil, die er verdient. Die Hamburger Ausstellung 1992 stellte seine Bedeutung auch einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen. Auf dem Plakat war die „balkonbewehrte“ Ecke des Habichtsplatzblocks abgebildet. Leider sind die meisten Bauten Karl Schneiders zerstört oder – bald mehr, bald weniger – entstellt. Schumacher und Schneider, das waren Gegensätze. Schumacher: ein Mann der Traditionsanklänge, auf Harmonie bedacht. Schneider: ein entschiedener Neuerer, aber auch fähig, sich einzufügen. Wie Schneider über die Zusammenarbeit mit Schumacher gedacht hat, wissen wir nicht. Schumacher sagte 1931, es sei für ihn als verantwortlichen Städtebauer zwar nicht immer bequem, eine so starke künstlerische Individualität gegenüber zu haben, aber das Gesicht der Stadt erhalte dadurch lebendige Züge. Es waren Worte aus der Eröffnungsrede, die Schumacher bei Schneiders erster Ausstellung hielt. Sie fand im von Schneider umgebauten Kunstvereinsgebäude statt.
Die Ehrenteit-Gesellschaften
1926 wurde ein für Hamburg neuer Typus der Wohnungsbaugesellschaften geschaffen. Er verband sich mit dem Namen John Ehrenteits. Ehrenteit war Gewerkschaftsvorsitzender (ADGB) in Hamburg und 1929 bis 1933 Senator. Was Ehrenteit eigentlich wollte, war wohl ein gewerkschaftlich getragenes, von der Stadt kontrolliertes und vorrangig gefördertes gemeinnütziges Großunternehmen, das eine führende Rolle in der Hamburger Wohnungswirtschaft spielen und auch die Bedürfnisse der Minderbemittelten befriedigen konnte. Die „Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg“ war eine gewerkschaftliche Gründung. Bezeichnend für ihren Status war, dass Staatsvertreter im Aufsichtsrat saßen und dass sie Staatsgrund in Erbpacht erhalten sollte. Eine beherrschende Stellung erlangte „Groß-Hamburg“ keineswegs. 1927/28 wurde sechs weiteren, nicht- gewerkschaftlichen, Gründungen der Status sogenannter Ehrenteit-Gesellschaften zugesprochen. Die „Freie Stadt“ zum Beispiel stand der mitregierenden konservativen DVP nahe, „Wichern“ kirchlichen Kreisen. Die sieben teilten nun das für „Ehrenteit-Gesellschaften“ reservierte Drittel der Fördermittel unter sich auf.
Aus der Not geboren: Der Kleinstwohnungsbau
1927 war offensichtlich, dass in Hamburg an dem dringlichsten Bedarf vorbeigebaut wurde. Vielfältige politische Vorschläge und Beratungen führten nicht zu einer grundlegenden Reform, auch nicht zur Konzentration aller Mittel und Kräfte auf den Kleinstwohnungsbau. Da die regierende Koalition in Hamburg sowohl höhere Subventionen als auch eine weitgehende Verstaatlichung ablehnte, blieben vor allem nur zwei Möglichkeiten, die Neubaumieten zu senken: Einsparungen bei Gestaltung und Ausstattung zum einen, Verkleinerung der Wohnungen zum andern. Beide Möglichkeiten wurden erprobt, mit unterschiedlicher Konsequenz und unterschiedlichem Erfolg. Einsparen hieß, dass das Äußere der Blocks karger und schmuckloser wurde und dass im Inneren auf Qualitätsstandards, die erst kürzlich festgesetzt worden waren, teilweise wieder verzichtet wurde. So wurden wieder mehr als zwei Wohnungen pro Hausgeschoss zugelassen, mit der Folge, dass die immer wieder geforderte Quer- oder Durchgangslüftung nicht mehr bei allen Wohnungen möglich war. Stellenweise wurde für die Fassaden auch statt Backstein der billigere Verputz gewählt (auf der Hofseite oft auch vorher schon). Die Verkleinerung der Wohnungen bedeutete zum Beispiel, dass vielköpfige Familien nun wieder auf engem Raum zusammengedrängt wurden. Unter Kleinstwohnungen wurden Wohnungen bis 45 Quadratmeter verstanden. Vielfach wurde versucht, mangelnden Komfort in den Wohnungen durch Gemeinschaftseinrichtungen in den Blocks zu ersetzen. Teils wurde auch die Flurfläche der Wohnungen aufs Äußerste verknappt, zum Beispiel in den Frankschen Laubenganghäusern. Noch 1928 hatten sich die Hamburger Baugenossenschaften und auch die Ehrenteit-Gesellschaften gegen eine entschiedene Priorität für den Kleinstwohnungsbau ausgesprochen. Aber schon in ihrer Planung für das Jahr 1929 beugten sich die Ehrenteit-Gesellschaften dem Zwang der Verhältnisse. Sie erstellten knapp 2.500 Kleinstwohnungen; das war der größte Teil ihrer knapp unter 3.000 liegenden Gesamtleistung dieses Jahres. Alle anderen Bauherren zusammen allerdings erstellten 1929 keine 100 Kleinstwohnungen. Hamburgs Oberbaudirektor Schumacher, der beredte und tatkräftige Anwalt vorbildlichen Bauens, sträubte sich weder gegen die Verkleinerung der Wohnungen noch gegen die anderen Sparmaßnahmen. Dem obersten Ziel – erschwinglichen Wohnraum zu schaffen – ordnete er manch anderes Wünschbares unter. So kam er trotz allem zu einer positiven Bewertung: „Dieser Kampf um den Quadratmeter ist eine der wichtigsten sozialen Aufgaben, die wir architektonisch zu lösen haben. Das Ziel ist nicht, eine Menschenschicht in Verhältnisse herabzudrücken, die unwürdig sind, sondern das Ziel ist im Gegenteil, diese Verhältnisse, so gut es geht, würdiger zu machen.“
Die vier in der Skizze nummerierten Blocks gehörten alle der „Kleinwohnungsbau Groß-Hamburg“. Block 1a/1b ist der im Titel gemeinte, von Schneider entworfene. An der Bauausführung waren Berg und Paasche beteiligt. Block 2 wurde von Schneider allein geplant, 4 von Berg und Paasche allein, Block 3 von Schneider und H. Hoger. Einzig Block 4 wurde in der Phase des verstärkten Kleinstwohnungsbaus errichtet, enthielt aber nur zum Teil Kleinstwohnungen (wenn überhaupt). 1 und 2 wurden vor 1929 gebaut, 3 teilweise. Die Wohnungen dieser drei Blocks waren im Durchschnitt größer als 50 Quadratmeter. Gleichwohl wohnten 1932 in Block 1a und 2 (die wir in eine größere Auswertung einbezogen haben) überwiegend Angehörige der „unteren Schichten“. Anders z. B. im „Funhofblock“ (Warmwasser, Zentralheizung) zwischen Funhofweg, Elligersweg und Lorichsstraße. Arbeiter waren allerdings auch in Block 1a und 2 nur mit 8-9 % vertreten. Auch hier waren die Wohnungen offenbar für ausgesprochen „Minderbemittelte“ zu teuer. Unsere Auswertung (siehe Graphik) stützt sich auf die Berufsangaben im Adressbuch. Die Ergebnisse der Reichstagswahl Juli 1932 spiegeln die unterschiedlichen Anteile sozialer Schichten wider. In den Stimmbezirken 458/9, zu denen die Blocks östlich von Habichts- und Schwalbenplatz gehorten, erreichte die SPD ca. 54 %, die KPD ca. 12,5 %, die NSDAP 22 %. Im Stimmbezirk 467, der vom Elligersweg bis zur Fuhlsbüttler Straße reichte und den Funhofweg einschloß, ergab sich in ganz anderes Bild: SPD 24%, KPD 6%, NSDAP 48,5%.
Der Adolf-von-Elm-Hof ist einer der herausragenden 20er-Jahre-Blocks in Barmbek (1927). Der Architekt: ein Protagonist des Neuen Bauens in Hamburg, Friedrich Ostermeyer. Man beachte die leicht gekrümmte Fuhlsbütteler-Straßenfront!
Die kubische Strenge der Nordansicht ist heute verwässert und konnte auch wegen der Hochstraße nicht mehr zur Geltung kommen.
Die Wohnungen hatten in der Mehrzahl 2 einhalb Zimmer (ca. 60 Quadratmeter). Im Zuschnitt drückte sich Sparwille aus: winzig die Loggien zum Hof. Bäder fehlten größtenteils. Ersatz bot das Wasch- und Badehaus im Hof. Gleichwohl leistete sich der Bauherr, die „Gemeinnützige Wohnungsfürsorge im Reichsbund deutscher Mieter“, den „Luxus“ künstlerischen Schmucks. Im Durchgang von der Fuhlsbütteler Straße zwei Reliefs zum Thema Verkehr. An der Ecke Dennerstraße / Mildestieg ist das Thema Arbeit dargestellt. In einer Pfeilerlaube vor dem kurzen nördlichen Querflügel stand der „Rattenfänger-Brunnen“. Allesamt Terrakotta-Werke von Richard Kuöhl, damals dem meistbeschäftigten Bildhauer der Stadt. Über den Kunstwert lässt sich streiten, über die dekorative Funktion für das Bauwerk kaum. Ein pathetisch-monumentaler Stil („Arbeit“) lag Kuöhl ebenso wie das gefällig-gemütvolle Genre (Brunnen). Anfang 1930 erwarb die „Produktion” den Block und benannte ihn nach einem ihrer beiden „Gründerväter“. Ab 1933 hatte die Gestapo ihn besonders im Blick, weil viele Sozialdemokraten darin wohnten. („Meyers Bierhaus“ war Treffpunkt der Reichsbannerabteilung 23 gewesen.)
Beim Wiederaufbau nach starken Kriegsschaden wurde die Pfeilerlaube zugemauert. Der Brunnen, erst vor der Bierhausterrasse platziert, wurde im Gustav-Borgner-Hof, Schwalbenstraße, „abgestellt“, als der Bau der Brücke begann. Bei den Umbauten 2001 wurde der Eindruck der Hoffronten stark verändert, trotz Denkmalschutzes, aber zum Vorteil der Bewohner.
Von Fritz Schumacher entworfen, wurde sie 1929/30 gebaut. Auf günstig geschnittenem Grundstück konnte Schumacher hier das Gestaltungs- und Nutzungskonzept seiner Schulbauten besonders klar verwirklichen. Der Schumacher der 20er Jahre zeigt sich als relativ moderner Architekt. Zum Vergleich: Seine Schule Genslerstraße (1913) ist in deutlich traditionellerem Stil gehalten. Die Plastiken vor den Eingängen (Fische und Vögel) stammen wie die Kraniche / Hufnerstraße von Ruwoldt.
Während des Kriegs wurden hier zeitweilig verwundete Soldaten und auch Kriegsgefangene untergebracht. – Nach den schweren Luftangriffen Juli / Aug. ’43 wurde der Unterricht in Barmbek eingestellt. Vorher schon waren ganze Klassen aus Hamburg in ländliche Gegenden (z. B. bis nach Ungarn) „verschickt“ worden. – Ab Ende ’44 / Anfang ’45 diente die Aula als Vorführraum für das „Scala“-Kino, dass sich bis ’43 und nach dem Wiederaufbau erneut in der „Fuhle“ befand. (Kinos s. Leinwand-Geflimmer.)
Gustav Bolland, Leiter der Jungenschule 1931-55, ist auch als Barmbeker Heimatforscher hervorgetreten. Seine Aufsätze* über die dörfliche Zeit sind von bleibendem Wert für die Barmbek-Geschichtsschreibung. 1931/32 unterrichtete Franz Bobzien (geb. 06) an dieser Schule. Er war in der linkssozialistischen SAP aktiv (wie der Junge Willy Brandt) und ist 1941 im KZ Sachsenhausen umgekommen. Genauer gesagt außerhalb des Lagers, beim Bombensuchen, d. h. in Ausführung eines „Himmelfahrtskommandos“. Die Überlebenden der Gruppe polnischer Häftlinge, mit denen er als Blockältester zusammen war, haben dankbar und liebevoll seiner gedacht.
Diese Wohnanlage mit den 2 langen Häuserzeilen sticht vom Gros der 20er-Jahre-Bauten augenfällig ab. Sie wurde von der Gemeinnützigen Kleinwohnungsbaugesellschaft Großhamburg 1936 errichtet, also in der NS-Zeit (wie auch die Zeile auf der andern Seite der Lorichsstraße). Zum Eindruck der Andersartigkeit tragen neben den fast obligatorischen Steildächern die Putzfassaden bei. In Barmbek-Nord sind wahrend der Zeit an gar nicht wenigen Stellen Etagenmietshäuser gebaut worden. Z. B. nahebei zwischen Wagenfeld- und Lorichsstraße und 2 große Komplexe beidseits der Lauensteinstraße sowie zwischen Dieselstraße und Oertzweg. Backsteinverkleidung wurde wie in den 20ern bevorzugt, so dass die andere Entstehungszeit oft nicht ins Auge springt. Beliebt waren Pergolen (wie diese hier).
1936-38 wurden wie in den Spitzenjahren der Republik 1926-30 in Hamburg jährlich 8.000 bis 10.000 Wohnungen produziert (bei weit höherem Bedarf). Die meisten (in der bis ’37 noch kleineren Stadt) in Barmbek, Dulsberg, Winterhude, Hamm. Das ideologische Leitbild des städtischen Siedlers wurde in solchen Stadtteilen beiseite gesetzt. Wie vor ’33 wurde der Wohnungsbau staatlich gefördert, aber anders als vor ’33 gab es in beachtlichem Umfang rein privat finanzierten Wohnungsbau. Die Förderung sollte zunächst Kinderreichen und wirtschaftlich Schwächeren zugute kommen. In den Häusern hier wohnten – nach den Berufsangaben zu urteilen – nicht Proletarier, doch kleine Leute: viele Angestellte. Dies mag damit zusammenhängen, dass der Bau zwar anscheinend nicht staatlich gefördert war, aber die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte als Kreditgeber fungierte.
1921 wurde der Platz angelegt. Wer sich in Schumachers Planskizze von Barmbek-Nord den Hartzloh- und den Habichtsplatz anschaut, muss annehmen, dass beiden eine ähnliche Bestimmung zugedacht war: begrünte städtische Plätze zu sein. Seit den 60er Jahren hat sich der Raumanspruch des Autoverkehrs drastisch verändert und mit ihm der Charakter vieler Plätze. Den Habichtsplatz hat der Ring 2 verschlungen. Der Hartzlohplatz ist zur abgeschirmten grünen Insel geworden: eine Wohltat für manche, die noch den Verkehrslärm der „Fuhle“ im Ohr haben. Der Häuserkomplex an der Nordseite des Platzes, um den Funhofweg herum, zählte Ende der 20er Jahre zu den bestausgestatteten in Barmbek, mit entsprechend hohen Mieten. Architekt und Bauherr: Dr. Ing. Eugen Fink aus Württemberg. – Erneuerungen nach Bombenschäden sind an den Fassaden sichtbar. Die Polizeiwache hier, 1929/30 errichtet, ist von Fritz Schumacher entworfen – wie die meisten städtischen Bauten während seiner Amtszeit (bis ’33). Backsteinhaut und Flachdach ähneln sie den 20er-Jahre-Blocks an. H. Hipp nennt sie als Beispiel, dass „selbst kleine öffentliche Gebäude zu Brennpunkten besonderer gestalterischer Anstrengungen Schumachers wurden, um in den neuen Wohnquartieren Punkte besonderer Ausstrahlung zu schaffen.“ Im Zuge der Zusammenlegungen wurde die Wache 1983 geschlossen. Noch im selben Jahr zog der Verein „Bürgerhaus Hartzlohplatz e.V.“ ein. (Seit den 70er Jahren entfaltete sich mit städtischer Förderung die „Stadtteilkultur“ in Hamburg.) Nach einer Sanierung und kleineren Umbauten (bis ’87) war aus der Wache das Stadtteilkulturzentrum geworden, wie es heute mit seinem vielfältigen Angebot bekannt ist.
Die beiden langen Blocks zwischen Prechts- und Brüggemannsweg (zur Meister-Bertram-Straße hin) sind bezeichnend für die Übergangszeit nach dem Ersten Weltkrieg: Eine Zeit des Mangels; der „Lenker“ Schumacher bis ’23 in Köln; ’23 auch Höhepunkt der Inflation. Zwei Jahre später erst war der geförderte Wohnungsbau in Schwung gekommen. Die Fassaden hier tragen Putz, noch keinen Backstein. Ungeachtet spärlicher Verzierungen wirkten sie ausgesprochen einfach, ermangelten aber moderner Formklarheit (zu deren Merkmalen das Flachdach zählte). Fenstersprossen belebten den Eindruck etwas. Dass ein Ostermeyer (siehe von-Elm-Hof) einen ersten Fassadenentwurf gezeichnet hat, lässt ermessen, wie rasch sich damals der Stil wandelte. In den Bauakten finden sich Ankündigungen der Bauvorhaben ab 1919. Als Eigentümer beider Grundstücke tritt ein Herr Süchting auf, der in der Nähe weiteren Grundbesitz hatte. Namen anderer angehender Bauherren tauchen auf und verschwinden wieder. Ab 1921 werden Entwürfe eingereicht, die dann auch, teils sehr verzögert, ausgeführt werden. Der Prechtsweg-Block wurde hier von der Ecke aus 1922 begonnen und 1925 vollendet, von der Baugenossenschaft Barmbek („im Mieterverein Großhamburg v. 1890“). Die Baugenossenschaft Rübenkamp errichtete 1925/26 den Brüggemannsweg-Block. Im ersten war die Mehrzahl der Wohnungen an die 60 qm groß, im andern deutlich größer. Im Prechtsweg-Block wohnten vor ’33 – so Zeitzeugen – ganz überwiegend SPD-Anhänger. Die meisten hatten das „Echo“, die Parteizeitung, abonniert. Manche, wie Hein W. mit seiner Familie, hatten schwer unter dem NS-Regime zu leiden. Auch die Vereinigung der beiden Genossenschaften zur „Hamburg Nordost“ entsprach NS-Willen.
Die Häuser Nr. 417 bis 425 wurden 1912/13 fertiggestellt, ebenso um die Ecke herum die 2 Häuser an der ehemaligen Straße Sandbalken. Abgesehen von der Eckbebauung Hartzloh waren sie damals die einzigen Etagenmietshäuser im „hohen“ Norden Barmbeks. (Die Nummern 427/29 standen vorm Ersten Weltkrieg nur im Rohbau da.) Gleichwohl war die Stadt 1914 schon nahgerückt: Seit 1890 war die Fuhlsbüttler Straße gepflastert, zahlreiche kleine Häuser verteilten sich an ihr; seit 1895 fuhr die elektrische Straßenbahn nach Ohlsdorf, seit 1913 gab es den Vorortbahnhof Rübenkamp; im selben Jahr war das Krankenhaus eröffnet worden. – Auf preußischer Seite, nach Steilshoop hin, lag bei einem kleinen Gehölz das beliebte Ausflugslokal Forsthof. (Die Landesgrenze verlief ein Stück weit hier an der Bordsteinkante entlang.) Wir sehen hier selbstverständlich eine andere Architektur vor uns als bei den 20er-Jahre-Blocks, die das Bild Barmbek-Nords bestimmen. Und vom ländlichen Langen Jammer / Hebebrandstraße unterschieden sich diese Häuser hier als Typus sowohl wie auch durch ihre Bewohner. Die 2- bis 3-zimmrigen Wohnungen waren meist an klein- bis mittelbürgerliche Mieter vergeben. Auch einer der drei Bauherren, denen das Grundstück gehört hatte, B. Börjes, hatte sich in der Nr. 425 eine (vergrößerte) Wohnung genommen. Es geschah damals häufig, dass Bauherren ihre fertigen Häuser gleich verkauften (eher einer Geschäftspraxis folgend als der Not gehorchend). So auch hier. Bernhard Börjes, von dem seine Enkelin uns erzählt hat, verlor dann sein Vermögen 1923 infolge der Inflation.
Die Hamburger Reichsbannerabteilung 10 – eine von drei Barmbeker Abteilungen – traf sich im PRO-Block bei „“Mause“. 1932 loste das Reichsbanner seine “Schutzformationen“‚ auf, um ein
Verbot der ganzen Organisation abzuwenden. Nach Hitlers Machtübernahme begannen Mitglieder der Schufo 10 illegale Arbeit gegen das Regime: Es war schlimm.