Vom Backstein zum Waschbeton Ein Spaziergang von Barmbek Nord in die City Nord Gemeinsam mit dem Jarrestadt Archiv. Rundgang mit Kim Kielau, Mareike Tauchert, Marco Hosemann „Vom Backstein zum Waschbeton“ […]
Um die Jahrhundertwende gab es hier beidseits der Fuhlsbüttler Straße fast keine Bebauung. Erst in den 1920er Jahren entstand auf immer noch weithin freiem Gelände das neue Wohnquartier. Barmbek-Nord ist also rund 40 Jahre jünger als der Süden. Und anders als der Süden hat es, über Zerbombung und Wiederaufbau hinweg, sein Gesicht behalten. So wie das Franksche Laubenganghaus gleich hierneben. Barmbek-Nord wurde nicht so gebaut, wie es der Bebauungsplan vorsah. Durch viele Änderungen im Kleinen realisierte Schumacher faktisch einen anderen, besseren, Plan.
Das alt-neue Gesicht Barmbek Nords
Wenn wir einmal das jüngere Barmbek-Nord (zwischen Hellbrookstraße und Meister-Bertram-Straße) für sich nehmen, so war der Zerstörungsgrad hier bei Kriegsende erheblich niedriger als in Barmbek Süd. Der amtliche Schadensplan vom Sommer 1945 verzeichnet, grob geschätzt, bei einem Drittel der Häuser Totalschaden. Zirka zwei Drittel waren leicht bis schwer beschädigt oder unbeschädigt. Der Eindruck, den viele Straßenzüge Barmbek Nord heute machen, täuscht. Gebäude, die aus der Vorkriegszeit, zumeist den 20er Jahren, zu stammen scheinen, waren bei Kriegsende in Trümmer gesunken oder völlig ausgebrannt. Sie wurden nach den alten Plänen wiederaufgebaut. (Teils wurden alte, aus dem Schutt herausgeholte Steine verwendet. Wer aufmerksam hinschaut, entdeckt oft „Nahtstellen“ zwischen altem und erneuertem Mauerwerk. Das Foto von 1943 zeigt ein stehengebliebenes Stück Rückwand (Hochbahnseite) des Laubenganghauses.
Das Franksche Laubenganghaus
Laubenganghaus nannten die Brüder Frank einen von ihnen entwickelten Haustyp, den sie erstmals 1927 hier am Heidhörn parallel zur Hochbahn bauten. Paul A. R. Frank war Architekt, sein Bruder Kaufmann. Das Laubenganghaus war ein Versuch, den Wohnungsbau zu verbilligen, ohne die Wohnungsqualität allzu sehr zu verschlechtern. Da alle Wohnungseingänge auf einem Stockwerk am langen Laubengang lagen, konnten Treppenhäuser eingespart werden. Trotzdem war bei jeder Wohnung die Querlüftung zwischen dem Laubengang und der anderen Hausseite gewährleistet. Die Raumaufteilung war bei meist ca. 55 Quadratmetern äußerst rationell. Vom Laubengang her betrat man durch einen kleinen Windfang hindurch gleich die relativ große Wohnküche, an die sich zwei Zimmer anschlossen. Nur 12 der 133 Wohnungen im Haus hatten ein Zimmer mehr. Die Miete, zwischen 40 und 45 Reichsmark, war für damalige Neubauten ziemlich niedrig. Die ersten Mieter mussten allerdings, nach Auskunft eines früheren Bewohners, auch einen Baukostenzuschuss aufbringen, der ihnen im Laufe von etwa dreißig Jahren in kleinen Beträgen zurückgezahlt werden sollte. Gemeinschaftseinrichtungen sollten den fehlenden Komfort der Wohnungen teilweise ersetzen. Dachgarten und Sonnenbad mit Duschen und Turngeräten auf dem Flachdach, ferner Waschküche und Bäder. Aber diese Einrichtungen waren nicht nur ein Notbehelf, sondern sie begünstigten auch ein Gemeinschaftsleben, das seinerzeit anscheinend mehr gepflegt und geschätzt wurde als heute. Auch der Laubengang kam einer engen Nachbarschaftlichkeit entgegen. Im Laubengang konnten Kinder spielen, er konnte als gemeinsamer Balkon benutzt werden. Wer allerdings dies Beieinander nicht so mochte, konnte sich ihm dennoch schwer entziehen. Nach dem Kriege wurde das Laubenganghaus, von dem die Bomben kaum etwas übriggelassen hatten, so wiederhergestellt, dass es von außen kaum als Nachbau zu erkennen ist.
Fritz Schumacher, Architekt und Städtebaumeister
Lebensdaten: Fritz Schumacher wurde 1869 in Bremen geboren. Er war Hochschulprofessor für Architektur in Dresden, als er 1909 nach Hamburg berufen wurde. Ihm war zwar nur die Leitung des Hochbauwesens übertragen, aber er setzte sich auch mit wichtigen Fragen des Städtebaus und der Landesplanung auseinander. Dass Schumachers ausgreifender Tatendrang auch Rivalitäten erzeugte, war nur natürlich. Nachdem er 1919 den Kölner Wettbewerb zur Bebauung des früheren Festungsvorfelds (Innerer Rayon) gewonnen hatte, bewog Oberbürgermeister Konrad Adenauer ihn, einen Generalbebauungsplan für Köln auszuarbeiten. Schumacher ließ sich deshalb für drei Jahre von Hamburg beurlauben. 1923 trat er seinen Dienst wieder an, nun als Oberbaudirektor mit erweiterter Zuständigkeit. Die Wohnkomplexe und -viertel der 1920er Jahre trugen seine Handschrift unter dem Motto „ein Gürtel um Hamburgs alten Leib'“. 1933, nach der NS-Machtübernahme, wurde Schumacher entlassen. 1942 vertauschte er sein Haus An der Alster 39 mit einer Etagenwohnung in der Maria-Louisen-Straße. 1943, nach der Ausbombung, zog er nach Lüneburg, wo er 1947 starb.
Wirkung und Nachwirkung in Hamburg: Angesichts der Verwüstungen, die der Bombenkrieg in Hamburg angerichtet hatte, glaubte Schumacher, dass seine Arbeit größtenteils zunichte gemacht sei. Wie sehr er hierin irrte, konnte er leider nicht mehr erfahren. Die Spuren seines Wirkens sind in Hamburg so unübersehbar, wie sie es vor dem Kriege waren. Viel Beschädigtes ist instand gesetzt worden, viel Zerstörtes wiederaufgebaut worden. Schumachers faktischer Einfluss reichte noch über die Amtskompetenz hinaus. Sucht man nach einer Erklärung, so lässt sich an seinen überragen- den Sachverstand denken und an sein ungewöhnliches Geschick, in Rede und Schrift die eigenen Vorstellungen zu propagieren. Aber vielleicht können einzelne Eigenschaften seinen Einfluss überhaupt nicht hinlänglich erklären, sondern nur jenes Zusammenspiel verschiedener Eigenschaften, das man etwas hilflos Wirkung der Persönlichkeit zu nennen pflegt. Selbst ein Schumacher allerdings konnte heutzutage der baulichen Entwicklung einer Stadt nicht in dem Maß seinen Stempel aufdrücken, wie er es in den 1920er Jahren vermochte. Die komplizierter gewordenen Beratungsprozeduren und Entscheidungsmechanismen würden ihn daran hindern. Komplizierter heißt in diesem Fall zugleich: demokratischer. Leider teils wohl auch: bürokratischer.) Gewiss, Teilhabe, Mitsprache, Kontrolle sind demokratische Werte. Anderseits zeigt Schumachers Wirken in Hamburg, was der weite Gestaltungsspielraum eines Einzelnen positiv ermöglichen kann. Schumacher war ein Konservativer. Ein Konservativer, der den Problemen seiner Zeit zugewandt war, der soziales Verantwortungsbewusstsein hatte und nach Harmonie strebte. So wurde der Massenwohnungsbau (preiswert und bewohnerfreundlich) für ihn zur wichtigsten städtebaulichen Aufgabe der 20er Jahre. Als Lenker der Entwicklung trachtete er zwischen auseinandergehenden Interessen zu vermitteln und unterschiedliche architektonische Richtungen dem großen Ganzen unterzuordnen. Dem Backstein, bzw. der Backsteinverkleidung, schrieb er harmonisierende Kraft zu.
Der Architekt: Schumacher war auch als bauender Architekt kein Moderner, entschloss sich aber in den späteren 1920er Jahren in vielen Fallen zu wesentlich modernerer Gestaltung. Eine Art Stilumbruch, in einem Alter, wo andere sich zur Ruhe setzen. An den weit über hundert städtischen Bauten, die Schumacher in den neunzehn Jahren seiner Hamburger Tätigkeit entworfen hat, sind sowohl ein allmählicher Stilwandel als auch dieser Stilumbruch abzulesen. Die Notwendigkeit, an den Baukosten zu sparen war es, die Schumacher zu einer gestalterischen Vereinfachung veranlasste, mit der er sich der Neuen Sachlichkeit annäherte. Weder aber scheint Schumacher dies als Selbstverleugnung empfunden zu haben, noch wird das stilistische Gepräge dieser Bauten durch den äußerlichen Sachzwang irgendwie abgewertet. Wir zählen manche Bauten dieser Phase, wie z.B. die Schule Uferstraße, Ecke Wagnerstraße, zu den gelungensten und zeitlosesten Schöpfungen Schumachers, jedenfalls was das äußere Erscheinungsbild betrifft.
Der Kunstförderer und Schriftsteller: Wenn irgendwo, dann hat Schumachers Hang zur „Dämpfung‘ der Modernität am ehesten bei der Auswahl mitwirkender Künstler manchmal zu fragwürdigen Ergebnissen geführt. Wir denken hier insbesondere an Richard Kuöhls Plastiken an Gebäuden und im öffentlichen Raum. Zum Beispiel Relief und Schmied am Von-Elm-Hof, sowie den Rattenfängerbrunnen. War Kuöhl auch technisch-handwerklich versiert, so ist seine Kunst doch recht hausbacken, was bei ornamentalen Erzeugnissen weniger auffällt als bei figürlichen. Auch Schumachers fachliterarisches Schaffen ist nach Gehalt und Umfang, zumal als Nebenprodukt eines höchst arbeitsreichen Lebens, bewundernswert. Zu seinen wichtigsten Schriften gehört „Das Werden einer Wohnstadt“, Resümee und Rechenschaft seiner Arbeit als Städtebauer in Hamburg. Der Titel bezieht sich natürlich auf die gesamte Stadt. Wir haben uns erlaubt, ihn auf Barmbek anzuwenden.
Hundert Jahre Wohnungsbau und ein verwandelter Plan
Der älteste Mietshaustyp in Barmbek Nord waren die „Langen Jammer“. Es handelt sich um sehr einfache und langgestreckte eingeschossige Häuser, die vereinzelt ins offene Gelände gestellt wurden (z. B. am Langenfort, an der Steilshooper Strafle). 1914, beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs, war die geschlossene Bebauung vom Süden her bis zur Hellbrookstraße vorgedrungen. Erst in den 1920er Jahren wurde weitergebaut, in größerem Umfang ab 1925, als die Inflation überwunden war und die staatliche Förderung Wirkung zeigte. Während für Dulsberg 1919 ein neuer Bebauungsplan anstelle des vorher gültigen beschlossen wurde, musste die Umformung des Planes für Barmbek Nord in vielen Einzelschritten mosaikartig vollzogen werden. In vielen Einzelverhandlungen wurden die jeweiligen Bauherren und ihre Architekten bewogen, veränderte Bedingungen für ihre Bauvorhaben zu akzeptieren. So erreichte Schumacher es, dass sich die Einzelplanungen mehr oder weniger in sein Gesamtkonzept für Barmbek-Nord einschmiegten.
Vom alten Bebauungsplan unterschied sich dies Konzept vor allem in zweierlei Hinsicht. Das Häusermeer wurde nun durch mehrere Grünzüge unterbrochen. Und die Grundflächen der Häuserblocks waren so verkleinert, dass mit einer reinen Randbebauung ohne Hinterhäuser eine ausreichende Grundstücksnutzung erzielt werden konnte. Außerdem wurde die Höhe der Häuser begrenzt, und zwar abflachend‘ in Richtung der Stadtgrenze zum preußischen Bramfeld/Steilshoop hin. Barmbek-Nord wurde eine Wohnstadt. So wollte es Schumacher. Sicher, Fabriken, die mit ihren Emissionen die Menschen belästigen, gehören nicht in Wohnviertel. Aber die prinzipielle Trennung von Wohn- und Arbeitsort kann nicht, jedenfalls nicht mehr, Richtschnur der Stadtplanung sein, erzeugt sie doch zu einem gut Teil die Verkehrsströme, an denen unsere Städte zu ersticken drohen. Einige große Arbeitsstätten waren freilich schon da, als die Wohnstadt wuchs. So die Ichthyolfabrik am Suhrsweg, die 1896 vom Flachsland hierher und 1931 noch weiter hinaus verlegt wurde. Auch Ortmann und Herbst (Alte Wöhr bis 1994), die Abdeckerei (Steilshooper Strafle bis 1930), die alte Schiffsbauversuchsanstalt (Schlicksweg) und das Krankenhaus (1913 eröffnet) standen schon.
Das 1994 eröffnete Hauptfilialhaus der Haspa wurde von B. Tonon entworfen. Zusammen mit Th. Brenner hat Tonon auch das 1987 fertiggestellte Eckgebäude am Suhrsweg geplant. Im Gegensatz zu den „Backsteintapeten“ vieler Gebäude aus den 1980er und 1990er Jahren ist der Backstein in diesen beiden Fällen „Bauweise“ geworden, das heißt stilprägend im Sinne von Fritz Schumacher. Barmbeks Stadtbild wurde so um zwei markante Bauwerke bereichert worden. Die weithin sichtbare Glasfront öffnet den Baukörper wie ein Schnitt und kontrastiert mit seiner steinernen Massigkeit. Der in Stufen ansteigende hintere Teil und der mit geschwungenen Flanken sich breit machende vordere Teil scheinen gegeneinander zu drängen. Anders der Bau am Suhrsweg, an dem vor allem gerahmt wird, wie er sich einerseits den Backsteinfronten aus den 1920ern, anderseits der etwa ebenso alten Putzfront angleicht. Bemerkenswerter noch scheint uns, wie er die Verbindung schafft: mit beschwingt-großzügiger „Geste“. Ein Wort noch zum Stein. Hier hat er etwas Traditionelles, Handgemachtes, dort ist er von quasi kunstgewerblicher Feinheit, gepaart mit betontem Fugenmuster. Auch nachdem die an den Haspa-Bau in Fuhlsbüttlerstraße und Hufnerstraße anschließenden Lücken mit Etagenhäusern gefüllt sind, sind die Kriegsfolgen im nahen Umkreis noch immer nicht ganz getilgt. Das wird deutlich sichtbar an der Ecke Fuhlsbüttlerstraße und Hellbrookstraße mit ihrer provisorischen Bebauung. An der Ecke Hufnerstraße wurde anstelle des zerstörten Etagenhauses das Roxy-Kino errichtet, in dem jetzt ein Aldi-Markt eingerichtet ist. Eine höhere Bebauung wird kommen.
Der sogenannte Stellberg war eine kleine Erhebung samt Windmühle bei der heutigen Kreuzung Fuhlsbüttlerstraße und Drosselstraße. Nach ihm wurde in den 1890er Jahren die Flache zwischen Fuhlsbüttlerstraße und Steilshooper Straße, Pestalozzistraße und Hellbrookstraße benannt. Schmale Felder erstreckten sich hier in nördlicher Richtung. Einige gehörten noch Bauernfamilien. Nur an der Steilshooper Straße stand schon eine Reihe kleiner Häuser, die der Maurermeister Grupe gebaut hatte (siehe Langer Jammer). Für die Erschließung als Bauland war diese Streifenstruktur denkbar ungeeignet. Durch ein Zusammenlegen und Neuaufteilen der Grundstücke wäre das zu andern gewesen. Einerseits war die Zeit vorbei, in der Private drauflos planen konnten. Anderseits wurde jetzt der Bebauungsplan für Barmbek vorbereitet, so dass die Umlegung samt Erschließung mit der Stadt ausgehandelt werden konnte. Die Grundeigentümer traten als „Interessenschaft“ auf. Ihr Wunsch wurde der Stadt 1895 ausgerechnet vom Eigentümer des kleinsten Grundstücks vorgetragen, über das aber ohne Eingriff in Bausubstanz die Drosselstraße geführt werden konnte. 1898 wurden die Verträge mit der Stadt geschlossen. Sie betrafen insbesondere die Ver- und Entsorgungsanschlüsse und die Wegpflege. Nun wurden die Straßen angelegt: Drosselstraße, Stellbergstraße und Schwalbenstraße. Nach und nach wurden die neu zugeschnittenen Grundstücke parzelliert. Da die Kanalisation erst 1904 angelegt wurde, durfte zunächst nur niedrig gebaut werden. Ab 1900 bauten nicht mehr die anfänglichen Grundeigentümer, sondern Bauunternehmer. Sie bauten reihenweise und im gleichen Muster Häuschen, die nach Fertigstellung verkauft wurden. Endeigentümer waren zum Beispiel Handwerksmeister oder Beamte.
An der Ecke gegenüber (Habichtstraße 62) stand bis 2008 ein Überbleibsel des Habichthofs. Es war das Hochparterre des bombengeschädigten Wohnhauses. Heute steht dort das B&B Hotel. 1890 hatte die Bauernfamilie Dreckmann ihren Hof vom Dorfplatz in der Hufnerstraße hierher ins offene Gelände verlegt. Nur 32 Jahre später musste sie die Landwirtschaft in Barmbek einstellen, weil die Verstädterung sie eingeholt hatte und ihr in der Notzeit nach dem Krieg die Feldfrüchte vom Acker weg gestohlen wurden. 1890 bauten die Dreckmanns kein Bauernhaus mehr, sondern neben Wirtschaftsgebäuden ein villenartiges Wohnhaus. Darin manifestierten sich gewachsener Wohlstand und ein anderes Lebensgefühl. Die Dreckmanns festigten ihren Wohlstand. Sie verkauften nicht wie die andern Bauernfamilien fast alles Land an Private oder die Stadt. Sie errichteten selber Mietshäuser auf vielen ihrer über die einstige Dorfmark verstreuten Grundstücke. Fünf der Kinder des letzten Bauern bewirtschafteten später eigene Höfe. 2005 brachte die Geschichtswerkstadt Barmbek das Büchlein Leben auf dem Habichthof heraus.
Der alte „Vorbau“ der Techniker Krankenkasse hier ist das unter Denkmalschutz stehende frühere Entree der Margarinefabrik Voss. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts (mit Erfindung der Fetthartung 1902) fand Margarine als Butterersatz rasch wachsenden Absatz. Voss, 1904 in der Humboldtstraße gegründet, verlagerte den Betrieb 1909 an die Bramfelder Straße.1925/26 Erweiterung. 1943 brannten die meisten Gebäude aus. Bis 1952 war der Wiederaufbau vollendet. 1978/79 wurde der Betrieb eingestellt. Viele erinnern sich noch an die Voss-Tierbilder, die in Alben geklebt werden konnten. Der Voss-Überrest, dessen Erhalt ein Kompromiss war, weist in sich eine Stildissonanz auf. Der eigentliche Eingangsbau mit seinen „expressionistischen“, das heißt kantigen und spitzigen Formen, stammt aus den 1920er Jahren. Die zinnenbesetzten Mauern dahinter gehörten zur alten Fabrik.
Hinter der Margarinefabrik, am Bach Seebek, stand von 1903 bis zur Zerbombung 1943 der neue Hamburger Schützenhof. In Barmbek Süd erinnert ein Straßennahme an dessen Lage. Heute befindet sich dort die Schiffbauversuchsanstalt.
Die Bebauung am Habichtsweg mit ihren Putzfassaden ist untypisch für das Barmbek-Nord der „Schumacher- Ära“. Es waren die Backsteinblocks, die dem Stadtteil sein Gesicht gaben. Die Backsteinhaut trug wesentlich zu der gleichmäßigen Gesamtwirkung bei, die die Hamburger Wohnquartiere aus den 20er Jahren kennzeichnet. So großräumig-einheitliche Viertel wurden damals in keiner anderen deutschen Stadt gebaut.
Die ästhetische Funktion des Backsteins
Seit Schumacher nach Hamburg gekommen war, hatte er eine Vorliebe für Backsteinbau. Im Backstein glaubte er norddeutsche Bautradition mit Modernität versöhnen zu können. Solch ein Ausgleich schien ihm erstrebenswert. Gleich in den ersten Hamburger Jahren ließ er alle Stadtpark-Bauwerke in Backstein ausführen. In den 20er Jahren kam Schumachers Vorliebe für den Backstein in den neu entstehenden Wohnvierteln voll zur Geltung. Nun schrieb er dem Backstein vor allem eine vereinheitlichende Kraft zu, Zitat: „Es liegt eben im Wesen einer gesunden Behandlung des Backsteins, dass er aus sich selbst heraus zu verwandtem Ausdruck führt, mit anderen Worten, dass er nicht nur äußerlich verbindendes Baumaterial bleibt, sondern unwillkürlich eine verbindende Bauweise wird.“ Daneben blieb ihm die ausgleichende Wirkung nach wie vor wichtig, Zitat „Er dämpft alle neuartigen Wirkungen durch einen leisen Einschlag von Überlieferung, der sich aus dem Wesen seiner Struktur ergibt.“ Schumacher hat sicher recht mit seiner Behauptung, manche Hamburger Backsteinblocks würden mit Putzfassaden wesentlich moderner (im damaligen Sinne) wirken. Schumacher plädierte und warb für die Backsteinverkleidung, aber er brauchte sie in der Regel gar nicht vorzuschreiben, weil die führenden Hamburger Architekten, die in den neu entstehenden Vierteln bauten, in der Mehrzahl den Backstein genauso schätzten wie er selber. Die Backsteinfassaden der 20er Jahre unterscheiden sich sehr von den Backsteinfassaden der Nachkriegsjahrzehnte. Nach dem Kriege: ein Stein wie der andere, die Wände wirken tot. In den 20ern: Steine mit unzähligen Unregelmäßigkeiten, in der Form, in der Farbe (zwischen rot und bläulich changierend), in der Oberflächenbeschaffenheit (rau/glatt, stumpf/anglasiert) – die Wände haben Leben, selbst ohne dekorative Elemente. Schumacher bemühte sich selber darum, dass solche „unregelmäßigen“ Steine produziert und verwendet wurden.
Heute werden Fassaden wieder öfter mit unregelmäßigen Backsteinen verkleidet, so zum Beispiel am Haus der Haspa Ecke Hufner-/Fuhlsbüttler Straße. Wirkungsvoll belebt wurden die meisten Fassaden zudem durch die Sprossenfenster. Leider hat man sie in den Nachkriegsjahrzehnten nicht selten entfernt. Schumacher versprach sich von der planvoll-vereinheitlichenden Gestaltung ganzer Quartiere eine heilsame Gemütswirkung: „Wesentlich ist (auch) der Versuch, diesen neuen Bauquartieren eine gewisse äußere Harmonie zu geben. Für den gehetzten Menschen unserer Zeit dürfte auch darin ein Stück Hygiene liegen, Hygiene der Nerven.“ Heute wird die Einheitlichkeit der Backsteinquartiere unterschiedlich empfunden. Die einen empfinden sie in Schumachers Sinne als wohltuende Harmonie. Andere aber – gerade auch viele Jüngere – empfinden sie als monoton, trotz aller Abwechslung in den Blockformen und trotz aller Verlebendigung im Detail. Wer freilich den Backsteinfronten Putzfassaden aus der Kaiserzeit vorzieht, womöglich mit konfektionsmäßigem Palais-Zierrat, folgt einer auch recht anfechtbaren Geschmacksrichtung, bei der sicherlich Nostalgie im Spiel ist (meinen wir).
Schumachers Lenkungsinstrumente
Um den Backstein zum Standard zu machen, bedurfte es wohl keines Druckes. Ansonsten aber brauchte Schumacher eine Handhabe, um bei der Gestaltung eines neuen Viertels seine Vorstellungen annähernd zu verwirklichen. Die Beleihungskasse bot ihm die Handhabe. Faktisch war es wohl so, dass die Kasse Baudarlehen nicht ohne Schumachers Zustimmung zu den Entwürfen vergab. Das praktische Verfahren, mit dem sich Schumacher sein „Zustimmungsrecht“ zunutze machte, nannte er „modellmäßiges Bauen“. In Plastilinmodellen, die jeweils großen Ausschnitten eines Viertels entsprachen, ließ Schumacher darstellen, was er anstrebte. Die Modelle zeigten keine Einzelheiten, sondern nur die Formen der Blocks (der Baukörper). Wahrscheinlich wurde vor den Modellen mit den jeweiligen Bauherren und deren Architekten nach einvernehmlichen Lösungen gesucht. Erwogene oder diskutierte Varianten konnten sogleich versuchsweise einmodelliert werden, so dass die Auswirkung aufs Ensemble gemeinsam begutachtet werden konnte.
Dies Verfahren scheint höchsteffektiv gewesen zu sein und hat tatsächlich Viertel wie „aus einem Guß“ entstehen lassen. Funktionieren konnte das Verfahren allerdings auch nur, weil nicht mit einer Vielzahl „kleiner“ Bauherren zu verhandeln war, sondern mit relativ wenigen „großen“. Wie diese Grundbesitzstruktur (große Flächen in der Hand weniger Bauherren) sich zum Beispiel in Barmbek-Nord herausgebildet hat, wäre noch zu untersuchen. Jedenfalls dürfte sie auch Voraussetzung für die Abwandlung des alten Bebauungsplans gewesen sein. Auch diese musste in Verhandlungen mit den einzelnen Bauherren erreicht werden. Immer nach dem Prinzip: gleiche Grundstücksausnutzung bei verändertem Grundriss und geringerer Bauhöhe. Auch hierbei kann die Darlehensvergabe die Rolle eines möglichen Druckmittels gespielt haben, das die Bauherren einigungsbereiter machte. Es ist gut vorstellbar, dass Durchgestaltung der Quartiere und Umwandlung des Bebauungsplans ineinandergriffen, also bei jedem größeren Objekt in einem Zuge ausgehandelt wurden.
Auffällig sind an Karl Schneiders 1927/28 gebautem Doppelblock vor allem die gerundeten weißen Balkone zum Habichtsplatz hin. Zeitgenossen sahen in dem Block mit seiner fotogenen Ecke anscheinend ein markantvorbildliches Beispiel des modernen Wohnungsbaus in Hamburg. Wiederholt wurde Schneiders Bau in programmatischem Zusammenhang abgebildet. In Fachkreisen wurde der Doppelblock vor allem deshalb gelobt, weil Schneider auf ungünstig geschnittenem Grundstück eine phantasievolle und abwechslungsreiche Komposition der Baukörper geglückt war: mit unregeläßigen, zum „Angelpunkt“ hin offenen Höfen und betont symmetrisch gestaltetem „Tor-Vorhof“. Dass der Block von sozialdemokratischer Seite benutzt wurde, um die Wohnungsbaupolitik zu illustrieren, hatte noch einen zusätzlichen Grund. Bauherr war die Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg, auf die manche Sozialdemokraten und Gewerkschafter besondere Hoffnungen setzten.
Karl Schneider: Ein Meister der Moderne
Karl Schneider, 1892 in Mainz geboren, legte 1911 an der dortigen Kunstgewerbeschule sein Examen ab. Er arbeitete danach bei verschiedenen Architekten, eine Zeitlang auch bei Gropius in Berlin. 1920 heiratete er, zog nach Hamburg und richtete sich hier ein eigenes Büro ein. Bis Ende der 20er Jahre baute er viele Gebäude unterschiedlicher Zweckbestimmung (hauptsächlich in Hamburg), die ihm internationales Ansehen eintrugen. 1926 gewann er den Wettbewerb für die Jarrestadt und baute auch das zentrale Karree, musste allerdings eine Veränderung seines Entwurfs hinnehmen. 1930 wurde er Professor an der Landeskunstschule: bei dem jähen Rückgang der Bautätigkeit eine sehr erwünschte Existenzsicherung.
Als Exponent eines auffallend modernen (und internationalen) Stils hatte Schneider auch Gegner. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 betrieben die Nationalsozialisten erfolgreich seine Entlassung. 1938 wanderte Schneider in die USA aus, wo er als Industriedesi-gner arbeitete. Bauen durfte er nicht, weil er nicht in die US-amerikanische Standesorganisation aufgenommen war. Anfang 1945 endlich erlangte er die Zulassung als Architekt. Im August starb er. Erst Jahrzehnte später wurde Schneider die Anerkennung zuteil, die er verdient. Die Hamburger Ausstellung 1992 stellte seine Bedeutung auch einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen. Auf dem Plakat war die „balkonbewehrte“ Ecke des Habichtsplatzblocks abgebildet. Leider sind die meisten Bauten Karl Schneiders zerstört oder – bald mehr, bald weniger – entstellt. Schumacher und Schneider, das waren Gegensätze. Schumacher: ein Mann der Traditionsanklänge, auf Harmonie bedacht. Schneider: ein entschiedener Neuerer, aber auch fähig, sich einzufügen. Wie Schneider über die Zusammenarbeit mit Schumacher gedacht hat, wissen wir nicht. Schumacher sagte 1931, es sei für ihn als verantwortlichen Städtebauer zwar nicht immer bequem, eine so starke künstlerische Individualität gegenüber zu haben, aber das Gesicht der Stadt erhalte dadurch lebendige Züge. Es waren Worte aus der Eröffnungsrede, die Schumacher bei Schneiders erster Ausstellung hielt. Sie fand im von Schneider umgebauten Kunstvereinsgebäude statt.
Die Ehrenteit-Gesellschaften
1926 wurde ein für Hamburg neuer Typus der Wohnungsbaugesellschaften geschaffen. Er verband sich mit dem Namen John Ehrenteits. Ehrenteit war Gewerkschaftsvorsitzender (ADGB) in Hamburg und 1929 bis 1933 Senator. Was Ehrenteit eigentlich wollte, war wohl ein gewerkschaftlich getragenes, von der Stadt kontrolliertes und vorrangig gefördertes gemeinnütziges Großunternehmen, das eine führende Rolle in der Hamburger Wohnungswirtschaft spielen und auch die Bedürfnisse der Minderbemittelten befriedigen konnte. Die „Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg“ war eine gewerkschaftliche Gründung. Bezeichnend für ihren Status war, dass Staatsvertreter im Aufsichtsrat saßen und dass sie Staatsgrund in Erbpacht erhalten sollte. Eine beherrschende Stellung erlangte „Groß-Hamburg“ keineswegs. 1927/28 wurde sechs weiteren, nicht- gewerkschaftlichen, Gründungen der Status sogenannter Ehrenteit-Gesellschaften zugesprochen. Die „Freie Stadt“ zum Beispiel stand der mitregierenden konservativen DVP nahe, „Wichern“ kirchlichen Kreisen. Die sieben teilten nun das für „Ehrenteit-Gesellschaften“ reservierte Drittel der Fördermittel unter sich auf.
Aus der Not geboren: Der Kleinstwohnungsbau
1927 war offensichtlich, dass in Hamburg an dem dringlichsten Bedarf vorbeigebaut wurde. Vielfältige politische Vorschläge und Beratungen führten nicht zu einer grundlegenden Reform, auch nicht zur Konzentration aller Mittel und Kräfte auf den Kleinstwohnungsbau. Da die regierende Koalition in Hamburg sowohl höhere Subventionen als auch eine weitgehende Verstaatlichung ablehnte, blieben vor allem nur zwei Möglichkeiten, die Neubaumieten zu senken: Einsparungen bei Gestaltung und Ausstattung zum einen, Verkleinerung der Wohnungen zum andern. Beide Möglichkeiten wurden erprobt, mit unterschiedlicher Konsequenz und unterschiedlichem Erfolg. Einsparen hieß, dass das Äußere der Blocks karger und schmuckloser wurde und dass im Inneren auf Qualitätsstandards, die erst kürzlich festgesetzt worden waren, teilweise wieder verzichtet wurde. So wurden wieder mehr als zwei Wohnungen pro Hausgeschoss zugelassen, mit der Folge, dass die immer wieder geforderte Quer- oder Durchgangslüftung nicht mehr bei allen Wohnungen möglich war. Stellenweise wurde für die Fassaden auch statt Backstein der billigere Verputz gewählt (auf der Hofseite oft auch vorher schon). Die Verkleinerung der Wohnungen bedeutete zum Beispiel, dass vielköpfige Familien nun wieder auf engem Raum zusammengedrängt wurden. Unter Kleinstwohnungen wurden Wohnungen bis 45 Quadratmeter verstanden. Vielfach wurde versucht, mangelnden Komfort in den Wohnungen durch Gemeinschaftseinrichtungen in den Blocks zu ersetzen. Teils wurde auch die Flurfläche der Wohnungen aufs Äußerste verknappt, zum Beispiel in den Frankschen Laubenganghäusern. Noch 1928 hatten sich die Hamburger Baugenossenschaften und auch die Ehrenteit-Gesellschaften gegen eine entschiedene Priorität für den Kleinstwohnungsbau ausgesprochen. Aber schon in ihrer Planung für das Jahr 1929 beugten sich die Ehrenteit-Gesellschaften dem Zwang der Verhältnisse. Sie erstellten knapp 2.500 Kleinstwohnungen; das war der größte Teil ihrer knapp unter 3.000 liegenden Gesamtleistung dieses Jahres. Alle anderen Bauherren zusammen allerdings erstellten 1929 keine 100 Kleinstwohnungen. Hamburgs Oberbaudirektor Schumacher, der beredte und tatkräftige Anwalt vorbildlichen Bauens, sträubte sich weder gegen die Verkleinerung der Wohnungen noch gegen die anderen Sparmaßnahmen. Dem obersten Ziel – erschwinglichen Wohnraum zu schaffen – ordnete er manch anderes Wünschbares unter. So kam er trotz allem zu einer positiven Bewertung: „Dieser Kampf um den Quadratmeter ist eine der wichtigsten sozialen Aufgaben, die wir architektonisch zu lösen haben. Das Ziel ist nicht, eine Menschenschicht in Verhältnisse herabzudrücken, die unwürdig sind, sondern das Ziel ist im Gegenteil, diese Verhältnisse, so gut es geht, würdiger zu machen.“
Die vier in der Skizze nummerierten Blocks gehörten alle der „Kleinwohnungsbau Groß-Hamburg“. Block 1a/1b ist der im Titel gemeinte, von Schneider entworfene. An der Bauausführung waren Berg und Paasche beteiligt. Block 2 wurde von Schneider allein geplant, 4 von Berg und Paasche allein, Block 3 von Schneider und H. Hoger. Einzig Block 4 wurde in der Phase des verstärkten Kleinstwohnungsbaus errichtet, enthielt aber nur zum Teil Kleinstwohnungen (wenn überhaupt). 1 und 2 wurden vor 1929 gebaut, 3 teilweise. Die Wohnungen dieser drei Blocks waren im Durchschnitt größer als 50 Quadratmeter. Gleichwohl wohnten 1932 in Block 1a und 2 (die wir in eine größere Auswertung einbezogen haben) überwiegend Angehörige der „unteren Schichten“. Anders z. B. im „Funhofblock“ (Warmwasser, Zentralheizung) zwischen Funhofweg, Elligersweg und Lorichsstraße. Arbeiter waren allerdings auch in Block 1a und 2 nur mit 8-9 % vertreten. Auch hier waren die Wohnungen offenbar für ausgesprochen „Minderbemittelte“ zu teuer. Unsere Auswertung (siehe Graphik) stützt sich auf die Berufsangaben im Adressbuch. Die Ergebnisse der Reichstagswahl Juli 1932 spiegeln die unterschiedlichen Anteile sozialer Schichten wider. In den Stimmbezirken 458/9, zu denen die Blocks östlich von Habichts- und Schwalbenplatz gehorten, erreichte die SPD ca. 54 %, die KPD ca. 12,5 %, die NSDAP 22 %. Im Stimmbezirk 467, der vom Elligersweg bis zur Fuhlsbüttler Straße reichte und den Funhofweg einschloß, ergab sich in ganz anderes Bild: SPD 24%, KPD 6%, NSDAP 48,5%.
Der Adolf-von-Elm-Hof ist einer der herausragenden 20er-Jahre-Blocks in Barmbek (1927). Der Architekt: ein Protagonist des Neuen Bauens in Hamburg, Friedrich Ostermeyer. Man beachte die leicht gekrümmte Fuhlsbütteler-Straßenfront!
Die kubische Strenge der Nordansicht ist heute verwässert und konnte auch wegen der Hochstraße nicht mehr zur Geltung kommen.
Die Wohnungen hatten in der Mehrzahl 2 einhalb Zimmer (ca. 60 Quadratmeter). Im Zuschnitt drückte sich Sparwille aus: winzig die Loggien zum Hof. Bäder fehlten größtenteils. Ersatz bot das Wasch- und Badehaus im Hof. Gleichwohl leistete sich der Bauherr, die „Gemeinnützige Wohnungsfürsorge im Reichsbund deutscher Mieter“, den „Luxus“ künstlerischen Schmucks. Im Durchgang von der Fuhlsbütteler Straße zwei Reliefs zum Thema Verkehr. An der Ecke Dennerstraße / Mildestieg ist das Thema Arbeit dargestellt. In einer Pfeilerlaube vor dem kurzen nördlichen Querflügel stand der „Rattenfänger-Brunnen“. Allesamt Terrakotta-Werke von Richard Kuöhl, damals dem meistbeschäftigten Bildhauer der Stadt. Über den Kunstwert lässt sich streiten, über die dekorative Funktion für das Bauwerk kaum. Ein pathetisch-monumentaler Stil („Arbeit“) lag Kuöhl ebenso wie das gefällig-gemütvolle Genre (Brunnen). Anfang 1930 erwarb die „Produktion” den Block und benannte ihn nach einem ihrer beiden „Gründerväter“. Ab 1933 hatte die Gestapo ihn besonders im Blick, weil viele Sozialdemokraten darin wohnten. („Meyers Bierhaus“ war Treffpunkt der Reichsbannerabteilung 23 gewesen.)
Beim Wiederaufbau nach starken Kriegsschaden wurde die Pfeilerlaube zugemauert. Der Brunnen, erst vor der Bierhausterrasse platziert, wurde im Gustav-Borgner-Hof, Schwalbenstraße, „abgestellt“, als der Bau der Brücke begann. Bei den Umbauten 2001 wurde der Eindruck der Hoffronten stark verändert, trotz Denkmalschutzes, aber zum Vorteil der Bewohner.
Von Fritz Schumacher entworfen, wurde sie 1929/30 gebaut. Auf günstig geschnittenem Grundstück konnte Schumacher hier das Gestaltungs- und Nutzungskonzept seiner Schulbauten besonders klar verwirklichen. Der Schumacher der 20er Jahre zeigt sich als relativ moderner Architekt. Zum Vergleich: Seine Schule Genslerstraße (1913) ist in deutlich traditionellerem Stil gehalten. Die Plastiken vor den Eingängen (Fische und Vögel) stammen wie die Kraniche / Hufnerstraße von Ruwoldt.
Während des Kriegs wurden hier zeitweilig verwundete Soldaten und auch Kriegsgefangene untergebracht. – Nach den schweren Luftangriffen Juli / Aug. ’43 wurde der Unterricht in Barmbek eingestellt. Vorher schon waren ganze Klassen aus Hamburg in ländliche Gegenden (z. B. bis nach Ungarn) „verschickt“ worden. – Ab Ende ’44 / Anfang ’45 diente die Aula als Vorführraum für das „Scala“-Kino, dass sich bis ’43 und nach dem Wiederaufbau erneut in der „Fuhle“ befand. (Kinos s. Leinwand-Geflimmer.)
Gustav Bolland, Leiter der Jungenschule 1931-55, ist auch als Barmbeker Heimatforscher hervorgetreten. Seine Aufsätze* über die dörfliche Zeit sind von bleibendem Wert für die Barmbek-Geschichtsschreibung. 1931/32 unterrichtete Franz Bobzien (geb. 06) an dieser Schule. Er war in der linkssozialistischen SAP aktiv (wie der Junge Willy Brandt) und ist 1941 im KZ Sachsenhausen umgekommen. Genauer gesagt außerhalb des Lagers, beim Bombensuchen, d. h. in Ausführung eines „Himmelfahrtskommandos“. Die Überlebenden der Gruppe polnischer Häftlinge, mit denen er als Blockältester zusammen war, haben dankbar und liebevoll seiner gedacht.
Diese Wohnanlage mit den 2 langen Häuserzeilen sticht vom Gros der 20er-Jahre-Bauten augenfällig ab. Sie wurde von der Gemeinnützigen Kleinwohnungsbaugesellschaft Großhamburg 1936 errichtet, also in der NS-Zeit (wie auch die Zeile auf der andern Seite der Lorichsstraße). Zum Eindruck der Andersartigkeit tragen neben den fast obligatorischen Steildächern die Putzfassaden bei. In Barmbek-Nord sind wahrend der Zeit an gar nicht wenigen Stellen Etagenmietshäuser gebaut worden. Z. B. nahebei zwischen Wagenfeld- und Lorichsstraße und 2 große Komplexe beidseits der Lauensteinstraße sowie zwischen Dieselstraße und Oertzweg. Backsteinverkleidung wurde wie in den 20ern bevorzugt, so dass die andere Entstehungszeit oft nicht ins Auge springt. Beliebt waren Pergolen (wie diese hier).
1936-38 wurden wie in den Spitzenjahren der Republik 1926-30 in Hamburg jährlich 8.000 bis 10.000 Wohnungen produziert (bei weit höherem Bedarf). Die meisten (in der bis ’37 noch kleineren Stadt) in Barmbek, Dulsberg, Winterhude, Hamm. Das ideologische Leitbild des städtischen Siedlers wurde in solchen Stadtteilen beiseite gesetzt. Wie vor ’33 wurde der Wohnungsbau staatlich gefördert, aber anders als vor ’33 gab es in beachtlichem Umfang rein privat finanzierten Wohnungsbau. Die Förderung sollte zunächst Kinderreichen und wirtschaftlich Schwächeren zugute kommen. In den Häusern hier wohnten – nach den Berufsangaben zu urteilen – nicht Proletarier, doch kleine Leute: viele Angestellte. Dies mag damit zusammenhängen, dass der Bau zwar anscheinend nicht staatlich gefördert war, aber die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte als Kreditgeber fungierte.
1921 wurde der Platz angelegt. Wer sich in Schumachers Planskizze von Barmbek-Nord den Hartzloh- und den Habichtsplatz anschaut, muss annehmen, dass beiden eine ähnliche Bestimmung zugedacht war: begrünte städtische Plätze zu sein. Seit den 60er Jahren hat sich der Raumanspruch des Autoverkehrs drastisch verändert und mit ihm der Charakter vieler Plätze. Den Habichtsplatz hat der Ring 2 verschlungen. Der Hartzlohplatz ist zur abgeschirmten grünen Insel geworden: eine Wohltat für manche, die noch den Verkehrslärm der „Fuhle“ im Ohr haben. Der Häuserkomplex an der Nordseite des Platzes, um den Funhofweg herum, zählte Ende der 20er Jahre zu den bestausgestatteten in Barmbek, mit entsprechend hohen Mieten. Architekt und Bauherr: Dr. Ing. Eugen Fink aus Württemberg. – Erneuerungen nach Bombenschäden sind an den Fassaden sichtbar. Die Polizeiwache hier, 1929/30 errichtet, ist von Fritz Schumacher entworfen – wie die meisten städtischen Bauten während seiner Amtszeit (bis ’33). Backsteinhaut und Flachdach ähneln sie den 20er-Jahre-Blocks an. H. Hipp nennt sie als Beispiel, dass „selbst kleine öffentliche Gebäude zu Brennpunkten besonderer gestalterischer Anstrengungen Schumachers wurden, um in den neuen Wohnquartieren Punkte besonderer Ausstrahlung zu schaffen.“ Im Zuge der Zusammenlegungen wurde die Wache 1983 geschlossen. Noch im selben Jahr zog der Verein „Bürgerhaus Hartzlohplatz e.V.“ ein. (Seit den 70er Jahren entfaltete sich mit städtischer Förderung die „Stadtteilkultur“ in Hamburg.) Nach einer Sanierung und kleineren Umbauten (bis ’87) war aus der Wache das Stadtteilkulturzentrum geworden, wie es heute mit seinem vielfältigen Angebot bekannt ist.
Die beiden langen Blocks zwischen Prechts- und Brüggemannsweg (zur Meister-Bertram-Straße hin) sind bezeichnend für die Übergangszeit nach dem Ersten Weltkrieg: Eine Zeit des Mangels; der „Lenker“ Schumacher bis ’23 in Köln; ’23 auch Höhepunkt der Inflation. Zwei Jahre später erst war der geförderte Wohnungsbau in Schwung gekommen. Die Fassaden hier tragen Putz, noch keinen Backstein. Ungeachtet spärlicher Verzierungen wirkten sie ausgesprochen einfach, ermangelten aber moderner Formklarheit (zu deren Merkmalen das Flachdach zählte). Fenstersprossen belebten den Eindruck etwas. Dass ein Ostermeyer (siehe von-Elm-Hof) einen ersten Fassadenentwurf gezeichnet hat, lässt ermessen, wie rasch sich damals der Stil wandelte. In den Bauakten finden sich Ankündigungen der Bauvorhaben ab 1919. Als Eigentümer beider Grundstücke tritt ein Herr Süchting auf, der in der Nähe weiteren Grundbesitz hatte. Namen anderer angehender Bauherren tauchen auf und verschwinden wieder. Ab 1921 werden Entwürfe eingereicht, die dann auch, teils sehr verzögert, ausgeführt werden. Der Prechtsweg-Block wurde hier von der Ecke aus 1922 begonnen und 1925 vollendet, von der Baugenossenschaft Barmbek („im Mieterverein Großhamburg v. 1890“). Die Baugenossenschaft Rübenkamp errichtete 1925/26 den Brüggemannsweg-Block. Im ersten war die Mehrzahl der Wohnungen an die 60 qm groß, im andern deutlich größer. Im Prechtsweg-Block wohnten vor ’33 – so Zeitzeugen – ganz überwiegend SPD-Anhänger. Die meisten hatten das „Echo“, die Parteizeitung, abonniert. Manche, wie Hein W. mit seiner Familie, hatten schwer unter dem NS-Regime zu leiden. Auch die Vereinigung der beiden Genossenschaften zur „Hamburg Nordost“ entsprach NS-Willen.
Die Häuser Nr. 417 bis 425 wurden 1912/13 fertiggestellt, ebenso um die Ecke herum die 2 Häuser an der ehemaligen Straße Sandbalken. Abgesehen von der Eckbebauung Hartzloh waren sie damals die einzigen Etagenmietshäuser im „hohen“ Norden Barmbeks. (Die Nummern 427/29 standen vorm Ersten Weltkrieg nur im Rohbau da.) Gleichwohl war die Stadt 1914 schon nahgerückt: Seit 1890 war die Fuhlsbüttler Straße gepflastert, zahlreiche kleine Häuser verteilten sich an ihr; seit 1895 fuhr die elektrische Straßenbahn nach Ohlsdorf, seit 1913 gab es den Vorortbahnhof Rübenkamp; im selben Jahr war das Krankenhaus eröffnet worden. – Auf preußischer Seite, nach Steilshoop hin, lag bei einem kleinen Gehölz das beliebte Ausflugslokal Forsthof. (Die Landesgrenze verlief ein Stück weit hier an der Bordsteinkante entlang.) Wir sehen hier selbstverständlich eine andere Architektur vor uns als bei den 20er-Jahre-Blocks, die das Bild Barmbek-Nords bestimmen. Und vom ländlichen Langen Jammer / Hebebrandstraße unterschieden sich diese Häuser hier als Typus sowohl wie auch durch ihre Bewohner. Die 2- bis 3-zimmrigen Wohnungen waren meist an klein- bis mittelbürgerliche Mieter vergeben. Auch einer der drei Bauherren, denen das Grundstück gehört hatte, B. Börjes, hatte sich in der Nr. 425 eine (vergrößerte) Wohnung genommen. Es geschah damals häufig, dass Bauherren ihre fertigen Häuser gleich verkauften (eher einer Geschäftspraxis folgend als der Not gehorchend). So auch hier. Bernhard Börjes, von dem seine Enkelin uns erzählt hat, verlor dann sein Vermögen 1923 infolge der Inflation.
Wie nehmen Sie den Bahnhof wahr? Als Fahrgastumschlagplatz, gesichtslos? In den ersten zehn Jahren hatte er ein stattliches Eingangsgebäude wie manch andere S- und Hochbahnhöfe. Als er nach der Jahrhundertwende gebaut wurde, war Barmbek-Nord noch kaum erschlossen. Schon nach 20 Jahren erlangte er eine Bedeutung als Verkehrsknotenpunkt, die mit seiner heutigen vergleichbar ist. Die Entwicklung Barmbeks zum Wohn- und Industriegebiet war mit der Schaffung von Verkehrsanschlüssen verbunden, die den Ort näher an die Stadt Hamburg rückten. Zunächst fanden viele Barmbeker und Barmbekerinnen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Arbeit (z.B. bei Calmon/Tretorn, Conrad Scholtz, der „New-York Hamburger“, dem Gaswerk). Doch wuchs die Zahl derjenigen, die weit entfernt von ihren Arbeitsplätzen wohnten, so dass sie lange Strecken zu Fuß zur Arbeit gehen mussten, solange bezahlbare Nahverkehrsmittel fehlten.
Pferdebus und Pferdebahn
Die Verkehrsanbindung begann mit dem Pferdeomnibus. Vom Frühjahr 1841 an betrieb das Fuhrunternehmen F.E. Schultz & Kroger eine Linie vom Speersort zum Barmbeker Markt (beim heutigen Bahnhof Dehnhaide). Maximal 16 Personen konnten mit dem Pferdeomnibus befördert werden. Die relativ hohen Fahrpreise und die spärliche Besiedlung Barmbeks machten es zunächst schwer, die Wagen zu füllen und das Geschäft rentabel zu betreiben. In den Anfangsjahren gab es daher nur wenige Fahrten täglich. Seit 1860 verkehrte der Bus aufgrund des starken Ausflugsverkehrs an Sonntagen stündlich (später auch werktags). Die Beförderungsplätze, die ein Pferdeomnibus bot, konnten nicht beliebig vermehrt werden. Der Pferdeomnibus wurde daher bald von der Pferdebahn abgelöst, deren Wagen auf Schienen liefen, wodurch sich erheblich höhere Gewichte von Pferden ziehen ließen. Ab Juni 1867 verkehrte die Barmbeker Bahn zwischen Rathausmarkt und „Zoll“ (bei der Brücke Bramfelder Straße) zweimal stündlich.
Straßenbahn und Stadtbahn
Auch die Pferdebahn konnte den ständig wachsenden Verkehrserfordernissen nicht nach- kommen. 1886 überstieg die Zahl der mit der Barmbeker Pferdebahn jährlich beförderten Personen die Millionengrenze. 1895 wurde die Barmbeker Linie (St. Pauli – Barmbek Zoll) auf elektrischen Betrieb umgestellt. In den folgenden Jahren wurde das Straßenbahnnetz in Barmbek weiter ausgebaut. In der Hamburger Stral3e fuhren Anfang des Jahrhunderts (1904) fünf Straßenbahnlinien, alle zwei Minuten kam eine Bahn. Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges fuhren nach Barmbek und Uhlenhorst zehn Straßenbahnlinien, in der Regel jede im 10-Minuten-Takt. Die Pferdebahn und zunächst auch die Straßenbahn waren damals jedoch noch keine Massenverkehrsmittel im heutigen Sinne. Nur Verdiener mittlerer und höherer Einkommen konnten sich die regelmäßige Benutzung der Bahn leisten, die Mehrzahl der Arbeiter/innen nicht. Der Preis für eine Pferdebahnfahrt lag bei mehr als einem Zehntel des durchschnittlichen Tageslohns eines Arbeiters. Viele, die in den Vororten wie Barmbek wohnten und in der Innenstadt oder im Hafen arbeiteten, mussten „gut zu Fuß“ sein. Mit Vorortbahn und Hochbahn hofften die politisch Verantwortlichen in der Stadt endlich effiziente Nahverkehrsanbindungen für die Werktätigen zu erstellen. Nebenbei hofften sie damit auch etwas zur sozialen Befriedung beizutragen. Der Bahnhof Barmbek wurde gleich als Umsteigestation der Vorortbahn (später Stadtbahn genannt) und der Hochbahn gebaut. 1906 wurde die Vorortbahnstrecke Blankenese – Ohlsdorf in Betrieb genommen. Zunächst verkehrten nur Dampfzüge, ab 1907/08 fuhr die Bahn im elektrischen Betrieb mit Oberleitung im 5-Minuten-Takt.
Hochbahnring und Walddörferbahn
Parallel zum Bau der Stadt- und Vorortbahn wurde der Bau der Hochbahn (heutige U-Bahn) mit einer Ringstrecke und den Zweiglinien nach Ohlsdorf, Eimsbüttel und Rothenburgsort in An- griff genommen. Nach der festlichen Eröffnung gab es zwei Wochen lang Freifahrten, um das Publikum von den Vorzügen der „neumodischen“ Bahn zu überzeugen. Der reguläre Betrieb der Ringzüge, die tagsüber im 5-Minuten-Takt und sonst alle 10 Minuten verkehrten, wurde von der „Hamburger Hochbahn Aktiengesellschaft“ (HHA) im März 1912 aufgenommen. Eine Fahrt bis zur fünften Haltestelle kostete zehn Pfennig. Die Hamburger fuhren damals 2. und 3. Klasse (2. Klasse: gepolstert, rote Wagen, 3. Klasse: Holzbänke, gelbe Wagen). Nach harten Auseinandersetzungen wurde 1919/20 das Zwei-Klassen- System aufgehoben. Um eine direkte Verkehrsverbindung zwischen der Stadt und dem Hamburger Umland im Nordosten, insbesondere den Walddörfern, herzustellen, wurde eine weitere von Barmbek ausgehende Bahnlinie geplant. Durch den Weltkrieg verzögert, war erst 1919 Betriebsbeginn, zunächst mit Dampfloks. Um Raum für die neue Strecke zu schaffen, war das Eingangsgebäude des Barmbeker Bahnhofs bereits 1916 abgerissen worden.
Wiederaufbau und Veränderung des Nahverkehrssystems
Die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg, namentlich im Sommer 1943, hatten dem Hamburger Nahverkehrsnetz schwere Schäden zugefügt. Die meisten Barmbeker Straßenbahnlinien konnten jahrelang nicht befahren werden. Auch der Hochbahnverkehr war lange unterbrochen. Erst 1950 wurde der Ring wieder geschlossen. Wie Barmbek in den 50er Jahren als Wohnstadt wiedererstand, so wurde auch sein Nahverkehrsnetz wieder zu alter Leistungsfähigkeit gebracht. In den 60er Jahren dann eine Neuerung: Die Straßenbahnen wurden in Hamburg durch Busse ersetzt. Als letzte Barmbeker Linien wurden im Mai 1965 die 6 und die 9 stillgelegt. Die im selben Jahr fertig gewordene „Omnibus-Umsteige-Anlage“ Barmbek war eine Konsequenz der Umstellung. Der Barmbeker Bahnhof bekam einen neuen Ausgang. 1986 modernisierten Hochbahn und Bundesbahn die westliche Eingangshalle. Schalter und Sperren verschwanden, neue Läden und Stände wurden eingerichtet.
Die Hamburger Reichsbannerabteilung 10 – eine von drei Barmbeker Abteilungen – traf sich im PRO-Block bei „“Mause“. 1932 loste das Reichsbanner seine “Schutzformationen“‚ auf, um ein
Verbot der ganzen Organisation abzuwenden. Nach Hitlers Machtübernahme begannen Mitglieder der Schufo 10 illegale Arbeit gegen das Regime: Es war schlimm.
Das Haus Nr. 48 ist 1882 noch in der frühen Verstädterungsphase Barmbeks entstanden. Ganz anders ist zum Beispiel das Erscheinungsbild der Etagenhäuser in der Flotowstraße. Vierspänner heißt, auf jedem Geschoss liegen 4 Wohnungen. Hier auf rechteckigem Grundriss an jeder Ecke des Hauses eine mit je ca. 40 Quadratmeter. Querlüftung, dann von den Wohnreformern gefordert, war nicht möglich.
Der Fotograf Erich Andres berichtete, am 30. Juli 1943, dem Tag nach Barmbeks Zerbombung, sei an dem Haus eine antifaschistische Parole zu lesen gewesen. Symptomatisch für den Stimmungsumschwung, den die Operation Gomorrha in Teilen der Hamburger Bevölkerung auslöste. Viele kehrten sich vom Regime ab, wurden vorübergehend gleichgültiger seinen Drohungen gegenüber. Den Spruch fotografierte Andres natürlich nicht, es wäre zu riskant gewesen. Wohl aber einige der Bewohner, die ihr Haus, so Andres, vorm Niederbrennen gerettet hatten. Nach friedensmäßiger Gewohnheit haben sie sich zum Gruppenfoto aufgestellt, in Form eines V. Auch den Anfang der Heitmannstraße bei der Hamburger Straße hat Andres fotografiert. Unter Bergen von Schutt und großen Mauerbrocken ist der Fahrdamm begraben.
An diesem 30. Juli 1943 war Frau H., die schräg gegenüber einen Brotladen betrieben hatte, schon seit einem Dreivierteljahr in Theresienstadt, im Lager. Sie war Jüdin. Ihr nichtjüdischer Mann war im Ersten Weltkrieg gefallen. Kein Grund, die Deportation aufzuschieben, wie im Falle noch bestehender so genannter Mischehen. Frau H. hatte Glück, sie erlebte die Befreiung und traf mit einem Rücktransport an der Finkenau ein. Der Brotladen in der Hausnummer 43, zerstört wie die meisten Hauser rundum, war in der Parterrewohnung eingerichtet.
Die Straße war gerade erst hergerichtet worden, als 1909/10 die meisten Häuser an dem Abschnitt bis Imstedt gebaut wurden. Es sind fast durch gehend Dreispänner, das heißt Häuser mit 3 Wohnungen pro Geschoss. Als Zeugnis jener Zeit ist die vollständig erhaltene Reihe an der Ostseite heute eine Seltenheit im alten Barmbek Süd, das an der Bachstraße endete. Luftkrieg und Wiederaufbau haben den Stadtteil verwandelt. Auch die Südseite des Flotowstraßenstücks ist nicht verschont geblieben (Hausnummern 11 bis 15 und Nummer 19). Trotzdem können wir uns hier in der Phantasie leicht um viele Jahrzehnte zurückversetzen. Freilich müssen wir uns die parkenden Autos weg- und zahlreiche kleine Läden und Verkaufsräume hinzudenken.
Repräsentativ für ganz Barmbek Süd und den angrenzenden Streifen Uhlenhorsts war die Flotowstraße allerdings nicht. Wer sich zur Herderstraße hin im Quartier umschaut, wo es noch manche Reste der Kaiserzeit-Bebauung gibt, wird sich davon überzeugen können. Die Flotowstraße wirkt schon durch ihre Breite großzügiger als etwa Bachstraße und Humboldtstraße. Die Fassaden sind vergleichsweise ansehnlich. In den tieferen Häusern an der Westseite, zum Sportplatz hin, waren die Wohnungen größer geschnitten als in den Häusern an der Ostseite, zur nahen Framheinstraße hin. Diese Straße ist mitsamt ihrer Bebauung auf dieser Höhe verschwunden. Auf beiden Seiten aber wohnten nur sehr wenige Arbeiter. Ganz anders als in der Humboldtstraße, vor allem ihren Terrassen.
Dass die Lücke der Hausnummer 13 nicht wieder geschlossen wurde, ergab sich aus dem Grünzüge-Konzept der Nachkriegszeit. Typisch für die 1950er Jahre sind die Zeilenbauten, die sich nach Osten bis zum Biedermannplatz hin anschließen.
Die Kanalisierung des Eilbek begann 1854. Nach mehreren Schritten des Weiter- und Breiterbaus wurde sie 1900 mit dem Löschplatz, das heißt Entladeplatz, an der Lortzingstraße (hinter der Von-Essen-Straße) abgeschlossen. Das erste schmale und flache Stück von Wartenau bis Wagnerstraße mussten Insassen des Werk- und Armenhauses (heute Heim Oberaltenallee) ausheben. Bis zum 2. Weltkrieg befuhren Alsterschiffe den Kanal. Nach dem Krieg wurde etwas von der ehedem verdrängten Natur zurückgeholt. Manche Uferpartien wurden freundlicher und grüner gestaltet. Auf Wandsbeker Seite hieß der Bach, der beim Dorf Siek entspringt, vor 1820 Bek oder Mühlenbek, dann erst Wandse. Wande bedeutet Grenze. An seinem gesamten Lauf trieb er bis zu 8 Mühlen. Die bekannteste war wohl die Kuhmühle, die 1874 abgebrochen wurde.
Seit dem 12./13. Jahrhundert bildete der Bach auch die Grenze zwischen dem Barmbeker und dem Eilbeker Land. Keine sehr trennende Grenze, denn das Hamburger Heiligengeisthospital hatte hier wie dort die Herrschaft erworben. In Eilbek 1247, in Barmbek zwischen vermutlich 1300 und 1365. Für das Dorf Barmbek hatte das Hospital auch die hoheitlichen Rechte erworben. Für die 3 Eilbeker Höfe blieben diese zunächst bei den Schauenburger Grafen. Nachdem das Hospital (personifiziert: die Oberalten) 1830 die Regierungsgewalt über Barmbek verloren, aber ausgedehnten Landbesitz in Eilbek behalten hatte, wurde es 1883 vom Rödingsmarkt an die Richardstraße Nummer 85 verlegt. 1901 zog auch das Marien-Magdalenen-Kloster, in Wahrheit ein Wohnstift, vom Glockengießerwall an die Richardstraße Nummer 77. Beide wurden 1943 ausgebombt und sind seit 1951/52 in Poppenbüttel vereint.Die steinerne Brücke wurde 1900 gebaut, zuletzt 1994 instand gesetzt.
„Up’n Flachsland Wisch“ hieß das hier am Osterbekbach gelegene Flurstück, auf dem die Barmbeker Bauern Flachs für Öl und Leinen anbauten. Wisch bedeutet Wiese. 1884 wurde die Straße angelegt. Schon 11 Jahre früher, 1873 wurde an der Südseite (Hausnummer 31) eine Fabrik errichtet. Verschiedene Produktionen wechselten sich auf dem Grundstück bis in die letzte Nachkriegszeit ab. Es begann mit Dampfkesseln und endete mit Armaturen (Firma Sauerland). Von den kleinen Wohnhäusern, die um 1890 herum entstanden, ist eines an der Wasserseite übriggeblieben (Hausnummer 44). Erster Besitzer war ein Sohn des Betriebsleiters der Gummifabrik auf der andern Osterbekseite. 1901 hielt er noch einmal die Bachsenke im Foto fest: Jenseits weiden Kühe, links ist schon die Aushubkante des Kanalbetts zu sehen. Bald wird der größte Teil des Gartens verloren sein. 1901/1902 wurde der Kanal gebaut. Danach kamen die hohen Etagenmietshäuser hinzu, die der Straße bis zu ihrer Zerbombung das städtische Gepräge gaben.
Erwähnenswert im Eckhaus Flachsland 23 ist die Gastwirtschaft von Robert Mause, in der der Musikclub Lassalle verkehrte, ein Stück Arbeiterkultur. Roberts Bruder Gustav war Wirt in der Pro-Burg in der Lohkoppelstraße. Seit 1996 bestimmt die einheitlich gestaltete Häuserzeile der Frank-Gruppe das Bild der Straße. (Planung durch APB). Der Bau wurde schon 1995 vom Architekten- und Ingenieurs-Verein Hamburg prämiert. Die großzügig gegliederte Rückfront ist die eigentliche Schauseite. Neubauten gibt es auch in der Maurienstraße. Die Feuerwache wurde 1991 hierher verlegt von der Bachstraße, wo sie 1898 das alte Spritzenhaus am Markt ersetzt hatte. Nur das Fehlen der Brücke erinnert noch unübersehbar an den Krieg.
Erbaut wurde er 1927 bis 1928 vom Architekturbüro Puls und Richter, die zugleich Bauherren waren. Die Kriegsschaden haben ihn nicht entstellt. Bemerkenswert, wie er sich mit seinen Putzfronten an Straße und Hof von den Backsteinblocks jener Jahre abhebt. Eine fast südländische Note macht ihn in Barmbek ganz einzigartig. In der Formgebung moderner als beispielsweise die Putzbauten am Habichtsweg, wirkt er doch nicht so streng und karg wie die Blocks von Ostermeyer und Schneider (Fuhlsbüttler Straße/Dennerstraße, Habichtsplatz). Manche Betrachter fühlen sich an Wiener Gemeindebauten der Zeit erinnert. Der Wechsel mit Backsteinabschnitten belebt die Wasserseite, offenbar eine Anregung für die großflächiger gegliederten Neubauten am Flachsland. Im Kanal-Tiefgeschoss wurden nach dem Kriege Boote gelagert, wenn nicht schon früher.
Der Name erinnert wie der seit langem stillgelegte Grillenscheucher-Brunnen im schönen Hofraum an Daniel Bartels (1818-89), Bürochef und Archivar von Beruf, humoriger Verseschmied aus Liebhaberei. Seine einst beliebten Werkchen sind in den 10 Bänden des „Grillenscheuchers“, eines Gemütsaufheiterers also, zusammengefasst. Die Terrakottajungfrauen sind wie der anspruchslose Brunnen von dem Bildhauer Ludwig Kunstmann (1877-1961) geschaffen. Isoliert gesehen, mag ihr Kunstrang verschieden beurteilt werden. In der Art, wie sie den rundbogigen Torweg flankieren, sind sie ein gutes Beispiel harmonisch mit Gebäuden verbundener Plastiken im Stadtraum. Ein nicht so gutes Beispiel gewollter Eigenständigkeit: die Bronze vorm Haus der Jugend am Flachsland. Die neue Auffassung von der Kunstwerkfunktion, die sich im Förderprogramm „Kunst am Bau“ langsam durchsetzte, führte eben nicht immer zu besseren Ergebnissen.